Der tropische Regenwald auf der Insel Borneo ist älter als der Amazonas. Das Meer vor der Küste Malaysias zählt zu den artenreichsten der Welt. Im Samalaju Industriepark in Ost-Malaysia produziert das südkoreanische Unternehmen OCI große Mengen polykristallines Silizium (kurz: Polysilizium), insbesondere für Solarzellen. Der Industriepark gefährdet die Ernährungsgrundlagen und die Gesundheit von indigenen Kleinbäuer*innen und Fischer*innen. Die Produktion hat zudem den Tod mehrerer Arbeiter gefordert.
OCI Malaysia (OCIM), ein Tochterunternehmen von OCI, einem weltweit führenden Polysiliziumhersteller, produziert seit 2017 auf Borneo. Seit Ende 2022 werden dort pro Jahr 35.000 Tonnen Polysilizium hergestellt – genug für die Produktion von über 10 Gigawatt Strom. Ein Großteil davon geht an das chinesische Unternehmen LONGi Green Technology, das ein Viertel der globalen Nachfrage nach Solarzellen und -modulen deckt und insbesondere Kunden in den USA und der EU bedient.
Nur wenige Kilometer vom Industriepark entfernt liegen drei Dörfer entlang des Flusses Nyalau: Kuala Nyalau, Tengang Nyalau und Ulu Nyalau. Die Bewohner*innen gehören zur ethnischen Gruppe der Kedayan, einer der indigenen Gruppen Malaysias. Ihre Ernährung und ihr Einkommen sichern sie hauptsächlich durch kleinbäuerliche Landwirtschaft und Fischerei in Meeres- und Flussgewässern.
Schon kurz nachdem die ersten Fabriken im Samalaju Industriepark (SIP) in Betrieb genommen wurden, beklagte Sabtu Bin Bunut, damals Vorsteher des Dorfs Ulu Nyalau, häufiges Fieber und Husten. Nie erhole er sich richtig davon. Eine Gesundheitsstudie von 2017 stellte denn auch ungewöhnlich hohe Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen fest. Der Bauer und Fischer Haji Lalih bin Takah, der damals schon seit 50 Jahren in Ulu Nyalau lebte, bemerkte einen plötzlichen und starken Rückgang seiner Ernte. Die Gurken und Erdnüsse sahen verändert aus, daher wolle sie keiner mehr essen. Seine Kinder habe er weggeschickt, um sie vor der Luftverschmutzung zu bewahren. Doch Firmen wie die Aluminiumschmelze Press Metal Bintulu haben ihre Produktion immer weiter ausgebaut – seit 2014 hat sie ihre Produktion auf 760.000 Tonnen pro Jahr verdoppelt.
Verschmutzung bedroht Ernährungsgrundlagen
Nicht nur durch den Tiefseehafen des Industrieparks haben die Kedayan wichtige Fischgründe verloren. Vor allem die Meeresverschmutzung durch die Abwässer von OCIM und den anderen Fabriken bedroht ihre Nahrungs- und Einkommensquellen. Laut anonymer Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters ist das Management von Abfällen und Chemikalien mangelhaft. Die gefährlichen Abfälle von OCIM (alkaliner Schlamm) müssten eigentlich zu einer sicheren Deponie des Integrierten Abfallparks 27 km südlich von Kuching weitertransportiert werden. Dies sei wegen verstopfter Leitungen jedoch unmöglich,sodass sie letztlich ins Meer geleitet werden. Der ehemalige Mitarbeiter erläutert die Ursache:
„Die Unternehmensleitung treibt den Betrieb der Anlage immer weiter voran, um mehr Polysilizium zu produzieren. Dadurch verursacht sie schwere Schäden an den Anlagen. Dann haben wir natürlich hier und da Lecks, Korrosion und Verstopfungen“.
Dennoch plant OCIM weitere Produktionssteigerungen – auf 56.600 Tonnen pro Jahr bis 2027. Auch zwei Palmölplantagen oberhalb der Dörfer leiten ihre Abwässer in den Fluss Nyalau. Im Jahr 2018 kam es laut einer Umweltverträglichkeitsstudie zum zweiten Mal zu einem großen Fischsterben, vermutlich durch Schäden des Rückhaltebeckens für die Abwässer der Palmölmühle.
Der Fluss wird zusätzlich verschmutzt, falls ein geplanter integrierter Abfallpark für den SIP (Samalaju Integrated Waste Management Park) umgesetzt wird – Dieser wäre ausschließlich für den gefährlichen Abfall von OCIM. Der Park würde ebenfalls durch ein Joint Venture der Regierung von Sarawak und der deutschen Trienekens GmbH betrieben werden. Das behandelte Sickerwasser der Deponie soll rund 30 Kilometer flussaufwärts vom Dorf Ulu Nyalau eingeleitet werden – mit negativen Auswirkungen auf die Fischfauna. Auch Schwermetalle könnten in den Nahrungskreislauf der Fische und somit der Bewohner*innen gelangen. Die Bewohner*innen der Dörfer stehen vor einem Dilemma: Verlassen sie ihr Land aufgrund der Umweltverschmutzung, ist ihre Zukunft ungewiss. Denn der Staat erkennt Gewohnheitsrechte nur für kultiviertes Ackerland an. Diese Rechte würden sie verlieren. Bleiben sie jedoch vor Ort, sind sie über Atmung, Nahrung, Wasser und Hautkontakt weiterhin der „schleichenden Gewalt“ ausgesetzt. So werden ihre Gesundheit, ihre traditionelle Landwirtschaft und Fischerei schrittweise und irreversibel zerstört und ihre Rechte auf Leben, Gesundheit, Wasser, Nahrung, eine saubere Umwelt sowie ihre Indigenen Rechte auf Kultur, Selbstbestimmung und Land verletzt.
Empfehlungen vom UN Special Rapporteur
Der malaysische Staat ist mitverantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen, da er den Industriepark fördert und die bereits marginalisierten Kedayan einer hohen toxischen Belastung aussetzt. Stattdessen sollte Malaysia die ILO-Konvention 169 zum Schutz Indigener Völker ratifizieren und umsetzen. Unternehmen wie OCIM müssten verpflichtet werden, ihre umweltbezogenen und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten – darunter die Offenlegung sozial-ökologischer Auswirkungen – zu erfüllen. Dies würde es den Betroffenen erleichtern, die Unternehmen vor Gericht zu Verantwortung zu ziehen.
Auf globaler Ebene sollte laut Marcos Orellana, UN-Sonderberichterstatter zu Giftstoffen und Menschenrechten, nicht nur eine Dekarbonisierung der Energieproduktion angestrebt werden. Diese müsse auch mit einer Verringerung der toxischen Belastung für gefährdete Gruppen wie Indigene einhergehen. Die Produktion von Solarzellen dürfe daher nicht zu „Opferzonen“ führen. OCIM und andere Unternehmen sollten zur Herstellung und Verwendung ungefährlicher Ersatzstoffe während des gesamten Lebenszyklus verpflichtet werden und Menschenrechtsprinzipien wie Prävention, Transparenz, das Vorsorgeprinzip, die Nicht-Diskriminierung und das Verursacherprinzip respektieren. Weltweit müssten Klimaschutztechnologien entwickelt werden, die für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. Eine Reduktion des Energiekonsums insbesondere im globalen Norden würde ebenfalls zur Vermeidung von toxischen Belastungen für Gemeinden wie die Dörfer am Fluss Nyalau beitragen.
Arbeiten unter Lebensgefahr
Die Polysiliziumherstellung birgt auch für die Arbeiter*innen Gesundheits- und Lebensgefahr, insbesondere durch den Einsatz von Wasserstoff. Besonders gefährdet sind externe Vertragsarbeiter*innen, die für Wartungsarbeiten eingesetzt werden. Undichte Stellen an den Anlagen verschärfen die Gefahren. Wiederholt sind bei OCIM Verbrennungen, Feuer und Explosionen aufgetreten. So starben am 9. Mai 2022 zwei externe Arbeiter durch die Explosion eines Tanks, zwei weitere wurden verletzt. Bis heute wurde die Ursache nicht aufgeklärt. In den Medien wurde der Name des Unternehmens geheim gehalten (nur auf einer malaaischsprachigen Seite wurde der Name OCIM kurz erwähnt).
Am 14. August 2024 kam es durch ein Leck in einer Rohrleitung erneut zu einer Explosion, unter anderem von Wasserstoff, bei der wiederum zwei Menschen starben und acht verletzt wurden (siehe auch dieses Video).
Der malaysische Minister für Tourismus, Kunst und Kultur, Tion King Sing, mahnte an, dass der Katastrophenschutz unzureichend sei und warnte: „Die Fabrik muss gewissenhaft arbeiten und ihr Risikomanagement verbessern.“ Doch das Unternehmen scheint laut einem ehemaligen Mitarbeiter für seine Profitinteressen auch den Verlust von Menschenleben in Kauf zu nehmen:
„Diese Koreaner im Topmanagement stellen Geld an erste Stelle. Sie kümmern sich nicht um die Sicherheit. Wenn wir [das Sicherheitspersonal] also sagen: ‚Wir müssen die Arbeit abbrechen, weil es schwindelerregend und gefährlich ist‘, dann rufen sie uns zu: ‚Kommt zurück‘“.
In seinen jährlichen Berichten schweigt OCI gänzlich über Todesfälle, Unfälle sowie Umweltauswirkungen bei OCIM.
Neben dem Unternehmen muss jedoch auch der Staat Malaysia seiner Verantwortung nachkommen und neben der Einführung von Berichtspflichten die ILO-Konventionen für den Arbeitsund Gesundheitsschutz ratifizieren und umsetzen.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie: n.uretschlaeger@fian.de
Anmerkung: Der Text erschien auch im FoodFirst Magazin 04/2024. Im Zuge von Kürzungen in der FoodFirst-Ausgabe sind dort versehentlich das „pro Jahr“ bei den Produktionsangaben von Polysilizium und Aluminium gestrichen wurden. Hier sind die Angaben nun korrigiert.