Zwei Gäste aus Honduras informieren über die Hintergründe der Privatstadt-Initiativen in Honduras, das breite zivilgesellschaftliche Engagement gegen sie und die Erfahrungen einer karibisch-indigenen Gemeinde mit einer Unternehmer-Enklave in unmittelbarer Nachbarschaft.
Honduras ist der erste Staat weltweit, der von Unternehmer:innen geführte Privatstädte als Enklaven auf dem eigenen Staatsgebiet zuließ. Um die gesetzlichen Grundlagen für dieses „libertär“-kapitalistische Projekt zu schaffen, wurde 2013 sogar die Verfassung geändert. Richter:innen des Verfassungsgerichts, die das stoppen wollten, wurden auf illegale Weise einfach ausgetauscht. Seither sind auf der Karibikinsel Roatán, in der Nähe der Industriemetropole San Pedro Sula und im Süden von Honduras drei so genannte „Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung“ (ZEDEs) in privater Regie entstanden: Próspera, Morazán City und Orquídea.
Mitbestimmung ist an Besitz geknüpft
Vorreiterin war 2019 ZEDE Próspera mit eigener Gesetzgebung, eigenen Gerichten, eigenem Sicherheitsdienst und eigener „citizenship“, die in Estland verwaltet wird. Die Mitbestimmungsrechte der „Citizens“ in der Privatstadt orientieren sich an Landbesitz und werden auch erst ab einer gewissen Größe des Projekts gewährt. Ebenso muss der Zugang zur Justiz erkauft werden. Ein Programmpunkt der „Liberty in Our Lifetime“-Konferenz 2023 fasst das Konzept prägnant zusammen: „Vote with Your Money, Vote with Your Feet“. Próspera hat den Bitcoin als Währung eingeführt und eine eigene Bank gegründet. Das Geflecht der Unternehmensgruppe hat sich längst über die Karibik-Insel Roatán hinaus auf weitere Wirtschaftszweige auf dem Festland und in die virtuelle Welt ausgedehnt.
Milliardenklage gegen Honduras
Die ZEDE galten als Lieblingsprojekt des autokratischen ehemaligen honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández, der sich mittlerweile wegen Verschwörung und Drogenhandels in großem Stil in den USA vor Gericht verantworten muss. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis protestierte jahrelang gegen das Projekt. Nach dem Amtsantritt der demokratisch gewählten Regierung von Xiomara Castro wurde das ZEDE-Gesetz 2022 aufgehoben. Die Rücknahme der Verfassungsänderung steht jedoch weiterhin aus. Die Próspera Unternehmensgruppe lässt auf Roatán trotz der Aufhebung des ZEDE-Gesetzes weiterbauen und reichte vor einem Schiedsgericht der Weltbank eine Klage über mehr als 10 Milliarden US-Dollar gegen den honduranischen Staat ein. Die Privatstadt wird von US-amerikanischen, aber auch von deutschen Unternehmer:innen vorangetrieben.
Verbindungen nach Sachsen
Hierzulande brachte die AfD-Fraktion 2021 einen Antrag in den Bundestag ein, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auf das Modell der Privatstädte umzustellen; im Juni 2023 berichtete der Norddeutsche Rundfunk von einer Bürgergenossenschaft im mittelsächsischen Döbeln, die „Parallelstrukturen zum Staat“ anstrebe. Sie wird, laut NDR, teils von den gleichen Netzwerken unterstützt wie Próspera.
Die Referent*innen:
*Christopher Castillo ist Architekt und Koordinator der Umwelt- und Gemeindebewegung ARCAH (Alternativa de Reivindicación Comunitaria y Ambientalista de Honduras). Als langjähriger Aktivist ist er einer der führenden Köpfe des honduranischen Widerstandes gegen die privaten Unternehmer-Städte in Honduras. ARCAH hat mehrere Klagen gegen honduranische Politiker:innen eingereicht, die ZEDEs in Honduras möglich gemacht haben.
**Venessa Cardenas Woods ist Lehrerin. Sie leitet die honduranische Sektion des internationalen Zusammenschlusses von Frauen afrikanischer Abstammung (Asociación de Mujeres Afrodescendientes – AMA) und die Gruppe Crawfish Rock Entrepreneur Women). Als stellvertretende Vorsitzende des ehrenamtlichen Gemeinderates von Crawfish Rock repräsentiert sie die letzte noch von der traditionellen Kultur Schwarzer englischsprachiger Inselkarib:innen geprägte kleine Fischergemeinde auf Roatán, die fürchtet über kurz oder lang von der angrenzenden ZEDE Próspera verdrängt zu werden.
Veranstalter*innen:
FIAN Deutschland, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit, Informationsstelle Lateinamerika ILA, Dachverband Kritische Aktionär:innen und Allerweltshaus Köln.