Die MATOPIBA-Region im Nordosten Brasiliens erstreckt sich über die Bundesstaaten MAranhão, TOcantins, PIauí, BAhía. Sie ist Teil des Cerrado, dem zweitgrößten Ökosystems Brasiliens, nach dem Amazonas. Das Savannengebiet verfügt über ein großes und für Brasilien wichtiges Grundwasserreservoir. Die in dem Gebiet lebende Bevölkerung, unter ihnen mehr als 80 indigene Gruppierungen, betreibt in der Region vor allem Viehzucht und Landwirtschaft. Doch durch die massive Ausweitung der Agrarindustrie wird die lokale Bevölkerung systematisch verdrängt und von ihrem Land vertrieben. Die Finanzialisierung von Land, also der immer stärkere Einfluss der Finanzindustrie im Bereich Agrarland, heizt diese Entwicklung stark an. Allein in Matopbia wurden zwischen 2013 und 2021 über 650.000 Hektar an Fläche zerstört und in Sojafelder umgewandelt.
Im Jahr 2020 wurden beispielsweise die Häuser der Gemeinde „Bom Acerto“ von bewaffneten Männern niedergebrannt. Obstbäume wurden gefällt, Felder zerstört, die Menschen wurden vertrieben. Im Nachhinein fanden die Betroffenen heraus, dass ein Geschäftsmann von Toncantins, über 4.000 Hektar öffentliches Land aufgekauft hat. Sie vermuten, dass er die bewaffneten Männer mit der Zerstörung beauftragt hat und auch die lokale Polizei bestochen hat, da Mitglieder der Polizei ebenfalls vor Ort die Bewohner*innen terrorisiert haben.
Ärztepensionen hinterlassen Soja-Wüsten
FIAN Deutschland hat durch zwei Recherchereisen 2017 und 2018 mit einer internationalen Delegation die Hintergründe der Situation vor Ort recherchiert. Im Zuge einer immer stärkeren Deregulierung und Privatisierung wird der Ausbau privater Rentensysteme hier zu Lande vorangetrieben. Pensionskassen legen verstärkt Geld in Ackerland an, um so Rendite für ihre Pensionäre zu erwirtschaften. Ein großer Akteur ist die Teachers Insurance And Annuity Association (TIAA). In der Studie legt FIAN dar, dass auch die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL), als Pflichtversicherung für Ärzt*innen in Deutschland, in einen Land-Fond von TIAA investiert. Allein in Brasilien hat dieser Fond 133.000 Hektar Land aufgekauft, um vor allem Gensoja im industriellen Stil anzubauen.
Dokumente, die 2023 geleakt wurden, sollen zeigen, dass die TIAA schon 2010 wusste, dass es immer wieder Vorwürfe gab, dass Teil des aufgekauften Landes von Personen aufgekauft wurde, die das Land von der indigenen Bevölkerung gestohlen haben. Im Oktober 2022 legte eine Gruppe rund um einige US-Amerikanische Professor*innen eine Beschwerde gegen die TIAA und ihr Tochterunternehmen Nuvven bei der von der UN unterstützen Investoreniniative „Prinzipien für verantwortliches Investieren“ ein. Dabei ging es vor allem auch darum, dass die Fonds als klimafreundlich beworben werden, aber die Umweltbelastung tatsächlich sogar höher sei als bei anderen Fonds, die in fossile Energie investieren. Die Beschwerde hatte aber keinen Erfolg, die Initiative antwortete auf die Beschwerde, dass sie keine Verletzung ihrer Prinzipien erkennen konnte.
Kosten für Mensch und Umwelt
Die Vertreibung der lokalen Bevölkerung wird durch unklare Verhältnisse bezüglich der Eigentumsrechte von Land begünstigt. Oft besitzt die lokale Bevölkerung keine formellen Landtitel und bewirtschaftet auf kollektive Weise Land, welches formal dem Staat gehört (terras devolutas). Die „Pastoral Land Commission“ fand heraus, dass die beiden Staaten Bahia und Maranhao, beide in MATOPIBA gelegen, im Jahr 2022 die beiden Staaten mit der höchsten Anzahl an gewaltsamen Landkonflikten in ganz Brasilien waren. 2022 waren etwa 20.000 Familien in Landkonflikten in MATOPIBA involviert.
Dazu kommt, dass die MATOPIBA-Region von hoher Armut und sozialer Ungleichheit geprägt ist. Die Reproduktion historisch bedingter Ungleichheiten wirkt sich vor allem auf ländliche Besitzverhältnisse aus. Marginalisierte Gruppen, wie Indigen Gemeinschaften und traditionelle Gemeinden sind besonders davon betroffen und werden systematisch bedroht und teilweise gewaltsam von dem ihnen verbliebenen Land vertrieben. Zudem wird durch den monokulturellen Soja-Anbau ihr Zugang zu Wasser zunehmend erschwert, sowie Böden und Wasser durch vermehrten Pestizideinsatz auf den Soja-Feldern kontaminiert. Die riesigen gerodeten Flächen wirken sich auch negativ auf den gesamten Cerrado und dessen Funktion als Grundwasserspeicher aus, denn ohne das tiefe Wurzelwerk der Savannenbäume kann Regenwasser kaum noch gespeichert werden und der Grundwasserspiegel sinkt stetig ab. Wissenschaftler*innen sagen voraus, dass das gesamte Cerrado bei ungehindertem Ausbau der Landwirtschaft bis 2030 kollabieren könnte, was katastrophale Folge für die Trinkwasserversorgung der gesamten Region und die Tier- und Pflanzenwelt hätte.
Deutsche Verantwortung
In Deutschland hat das Finanzministerium des Landes NRW die Aufsichtspflicht über die ÄVWL. Dieses sah die ganzen Jahre trotz dokumentierter Verwicklungen der Pensionsgelder in illegale Machenschaften keinen Handlungsbedarf. Nachdem die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe zehn Jahre lang inaktiv geblieben ist, hat sie sich 2023 aus den Landkäufen in Brasilien zurückgezogen. FIAN bewertet diese Entwicklung als Erfolg der Arbeit von FIAN, seinen Mitgliedern und anderen Organisationen, die immer wieder Verantwortliche in der Politik und der Ärzteschaft auf die fatalen Folgen der Investitionen hingewiesen hat. Auch andere Pensionsfonds haben sich in den letzten Jahren aus den Investionen zurückgezogen, dafür ist im Jahr 2022 aber das „Board of the Los Angeles County Employees Retirement Association“ mit Investionen in den TIAA-CREF Global Agriculture Funds in Höhe von 500 Millionen Dollar neu hinzu gekommen. Der Kampf der Gemeinden und ihrer UnterstützerInnen – inklusive FIAN – geht weiter!
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