Unter dem Motto „Rights not Charity“ trafen sich am 4.10.23 rund 110 Teilnehmende aus aller Welt, um über die Zunahme von konzerngesteuerter Nahrungsmittelhilfe zu diskutieren
FIAN war u.a. mit den Sektionen Norwegen, Indien, Uganda, Indonesien, Brasilien und Deutschland vertreten. Die unterschiedlichen Hintergründe der Teilnehmenden zeigen vor allem eines: Der Kampf für ein gerechteres Ernährungssystem geht uns alle an. Unabhängig von kulturellen, sozialen, geschlechtlichen oder nationalen Identitäten bewegt uns der Protest gegen ein ausbeuterisches System, das von Spaltung und Machtasymmetrien lebt. Die kollektive Auseinandersetzung damit ist Stärke und Notwendigkeit zugleich.
Das Briefing beleuchtete die Auswirkungen der Normalisierung von konzerngesteuerter Nahrungsmittelhilfe – ein Symptom der global stattfindenden „corporate capture“, also der Vereinnahmung sozialer, politischer und natürlicher Sphären durch Konzerne.
Smita Narula, ehemalige UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung, sprach in ihrer Einführung von der dreifachen Gefahr, der die Welt derzeit ausgesetzt sei: Wachsende Konzernkontrolle, Erschöpfung der planetarischen Grenzen, steigende Hungerzahlen.
Die so genannten Food Banks (in Deutschland als Tafeln bekannt) symbolisieren diese Entwicklung. Das Konzept wurde in den letzten Jahren durch den Einfluss transnationaler Konzerne globalisiert und von diesen durch Lobbyarbeit in 76 Länder exportiert. Dieses „Corporate Capture“ verfolgt die Strategie, Lebensmittelverschwendung als Wohltätigkeit zu tarnen. Dahinter steckt eine Profitlogik: Konzerne erhalten durch Spenden nicht nur einen Corporate Social Responsibility Status, sondern vermeiden auch Abfallkosten, erhalten Steuervorteile und unterstützen ausbeuterische Löhne. Staaten sind also entscheidende Akteure im Konglomerat der chronischen Nahrungsmittelhilfe.
Warum ist das Modell der Tafeln problematisch, wo es doch um Spenden für Bedürftige geht? Zunächst muss klargestellt werden, dass akute Nahrungsmittelhilfe im Katastrophenfall lebensrettend ist. Gleichzeitig ist Hilfe in diesem Ausmaß nur durch ehrenamtliches Engagement möglich und allen Helferinnen und Helfern sei an dieser Stelle gedankt. Dennoch ist die hoch einzuschätzende Arbeit der vielen Ehrenamtlichen eingebettet in ein System, das Symptome und nicht Ursachen bekämpft, weil sich Konzerne aus Profitinteressen in der chronischen Nahrungsmittelhilfe etablieren und Staaten diese Hilfe als Deckmantel nutzen, um den Druck auf sich zu nehmen, die strukturellen Ursachen von Armut zu bekämpfen. Das Tafelsystem untergräbt die lokale Landwirtschaft und macht die Betroffenen abhängig von den Abfällen der Lebensmittelindustrie. Das Food Bank Leadership Institute agiert beispielsweise als integraler Bestandteil des globalen Ernährungssystems und bietet Vernetzungstreffen für „food bank leaders, social entrepreneurs, global corporate citizens, and experts“. Betroffene, Gewerkschaften, Produzenten wie Kleinbäuer*innen oder Fischer*innen sind fehl am Platz.
Wie können wir die Abhängigkeit von chronischer Nahrungsmittelhilfe überwinden? Wie schaffen wir echte Unabhängigkeit für Kleinbäuer*innen und Konsument*innen? Es ist klar, dass es keine echte Unabhängigkeit ohne eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft geben kann. Die Agrarökologie bietet eine alternative Produktionsform, die in der Lage ist, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren, lokale soziale Kontexte zu unterstützen und das Input-Diktat der Agrarkonzerne zu umgehen. Dabei dürfen wir die Rolle des Staates nicht vergessen: Wir müssen dafür sorgen, dass Subventionen und Anreize in die richtigen Projekte fließen und nicht in die Taschen der Konzerne. Denn das Recht auf Nahrung beinhaltet nicht nur das Recht auf Nahrungsmittelhilfe bei Hunger, sondern vor allem das Recht, selbst über ihre Ernährung zu bestimmen, ausreichende Löhne zu erhalten und Zugang zu Land zu haben.
Für die Teilnehmenden des Webinars ist klar: Konzerngesteuerte Nahrungsmittelhilfe ist weder Ausdruck von Solidarität noch eine Lösung für Armut und Hunger!
Der Veranstalter, die Global Solidarity Alliance, organisiert immer am ersten Donnerstag des Monats ein Zoom Netzwerktreffen für Aktivisten und Interessierte. Nächster Termin ist der 02.11.23 17:00 CET.
Beitritt unter:
https://groups.google.com/g/global-solidarity-alliance-food-health-and-social-justice-soc?pli=1
Die Aufzeichnung des Videos ist hier zu finden: https://wvu.zoom.us/rec/play/PPxQZSIKIUXy4oPCi3ozwVe1Jrag6FXyasYG-nxnZkTJmNQVRYxhQWxgaY6ULvuAuSu3Zr4KKjbzxWDh.jNAsdbtIN72EdVz7?canPlayFromShare=true&from=share_recording_detail&continueMode=true&componentName=rec-play&originRequestUrl=https%3A%2F%2Fwvu.zoom.us%2Frec%2Fshare%2FJq3KkqvaSg8OFnbNw81IBj4cmongeqLGTbiGqXeP9Pqacdffn2LAvKA-Bud0AkZ3.o5C74Uh3NfTn4Usw
Bericht von FIAN International (englisch):