Vladimir Chilinya, Länderkoordinator von FIAN Zambia, besuchte im Juni die Geschäftsstelle von FIAN Deutschland. Er berichtet über aktuelle Herausforderungen für das Recht auf Nahrung, darunter die Auswirkungen des Klimawandels oder die Privatisierung von Landbesitz, und über die Umsetzung der freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung.
Wie hängen in Sambia das Recht auf Nahrung und der Zugang zu Land zusammen?
In Sambia spielt Land noch immer eine zentrale Rolle zur Gewährleistung des Rechts auf Nahrung. Die meisten Familien sind auf Land angewiesen, um Landwirtschaft zu betreiben oder um im Wald Pilze und Früchte zu ernten. Auch der Zugang zu Wasser ist essenziell. Alles Land in Sambia ist dabei in Staatsbesitz. Die Landverteilung nach Gewohnheitsrecht wird anerkannt. Allerdings weitet der Staat – auch mit Hilfe internationaler Geber – den privatrechtlichen Besitz von Land immer weiter aus. Dadurch werden die Inhaber*innen traditioneller Landtitel häufig diskriminiert. Dies trägt zu Menschenrechtsverletzungen in Form von Zwangsräumungen, Landraub und Vertreibungen bei und gefährdet die Rechte auf Nahrung und Wasser.
Wie beurteilen Sie die derzeitige Ernährungslage in Sambia? Wer ist am stärksten von Hunger und Unterernährung betroffen?
Von den 20 Millionen Einwohner*innen sind rund 1,5 Millionen Kleinbäuer*innen. Rechnet man ihre Familien dazu, kommt man auf etwa 6,5 Millionen Menschen, die direkt von der Landwirtschaft abhängen. Gerade dieses Drittel der Bevölkerung ist am stärksten von Hunger betroffen.
Auch auf nationaler Ebene reichen die Nahrungsmittel oft nicht aus. Die teuren Importe können sich viele nicht leisten. Haushalte mit niedrigem Einkommen und mit Kindern sind daher stark von Hunger und Unterernährung betroffen.
Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel?
Der Klimawandel mit seinen extremen Schwankungen hat seit etwa zehn Jahren enorme Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln: So wurden im letzten Jahr etwa 250.000 Hektar Anbaufläche durch Überschwemmungen zerstört. Dieses Jahr hat eine Dürre rund eine Million Hektar Pflanzen vernichtet. Da unser landwirtschaftliches System stark von natürlichem Regenfall abhängig ist, sind die Auswirkungen gravierend, wenn dieser ausbleibt.
Wie geht die Regierung mit diesen Problemen um?
Die Regierung stellt für die von Hunger Betroffenen eine monatliche Nahrungsmittelhilfe von 600 Kwacha bereit, umgerechnet 20 Euro. Diese reicht jedoch nicht aus.
Kommen wir zu den freiwilligen Leitlinien für das Recht auf Nahrung. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für deren Umsetzung in Sambia?
Ein großes Problem ist, dass das Recht auf Nahrung nicht in unserer Verfassung verankert ist. Daher können die Menschen Verletzungen des Rechts auf Nahrung nicht wirklich einfordern. Auch in anderen Politikinstrumenten ist das Recht auf Nahrung noch nicht ausreichend eingeschlossen oder anerkannt. Ich kann Ihnen ein Beispiel dafür geben: Der südliche Teil unseres stark landwirtschaftlich geprägten Landes produziert seit langem Lebensmittel für ganz Sambia. Seit der Einführung der industriellen Landwirtschaft in den frühen 1980er Jahren durch die Regierung ist unsere Landwirtschaft jedoch in hohem Maße von Pestiziden, Herbiziden und chemischen Düngemitteln abhängig. Dies hatte zur Folge, dass die Böden etwa zehn Jahre später unfruchtbar wurden. Auf der Suche nach Nahrung wanderte fast die Hälfte der dortigen Bevölkerung in andere Teile des Landes ab. Das zeigt, dass unsere Politikmaßnahmen noch nicht ausgereift sind.
Ein anderes Beispiel ist, dass viele Unternehmen wie Amatheon Agri entgegen der Leitlinien Wasserressourcen stark kommerzialisiert haben und der lokalen Bevölkerung den Zugang dazu entzogen haben. Daher ist es dringend erforderlich, dass die Leitlinien in der Verfassung und in den Politikmaßnahmen verankert werden.
Sehen Sie auch Fortschritte in der Umsetzung der Leitlinien?
Eine positive Entwicklung ist, dass das Recht auf Nahrung zunehmend politisch diskutiert wird. Dies liegt an der Klimakrise. Die Regierung hat begonnen, das Recht auf Nahrung anzuerkennen und mehr dafür zu tun, etwa die Agrarökologie zu fördern, die Nahrungsmittelsysteme umzugestalten und auch ein besseres Umweltmanagement einzuführen. So entwickelt Sambia derzeit Richtlinien für den Einsatz von Pestiziden. Folglich gibt es einige Fortschritte, aber es muss noch mehr geschehen.
Wie stehen die Chancen, dass Bestimmungen aus den Leitlinien in die Verfassung und andere Politikinstrumente aufgenommen werden?
Was unsere Verfassung betrifft, so sehe ich die Verankerung der Leitlinien als eine große Herausforderung. Ich denke, die politischen Positionen in Sambia müssten sich zunächst ändern. Dafür brauchen wir ein Referendum. Die meisten Menschen stehen einem solchem im Moment jedoch noch ablehnend gegenüber.
Die Umsetzung der Leitlinien in andere Politikinstrumente ist meiner Ansicht nach einfacher und sehr gut möglich. Sambia entwickelt gerade das Comprehensive Agriculture Support Program zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Transformation. Wir können uns gut vorstellen, dass die aktuell große Debatte rund um den Klimawandel Chancen dafür bietet, dass einige der Schutzbestimmungen der Leitlinien in das Programm aufgenommen werden. Auch ist Sambia gerade dabei, ein nationales Rahmenwerk für Frieden und Menschenrechte zu entwickeln. Hierin werden Themen wie Gewohnheitsrechte, Unternehmensverantwortung oder die Frage, wie mit Menschenrechtsverletzungen in Ermangelung von Gesetzen umzugehen ist, in hohem Maße berücksichtigt. Hier bieten sich ebenfalls Anknüpfungspunkte für die Leitlinien an.
Was erhoffen Sie sich für die sambische Bevölkerung durch eine Umsetzung der Leitlinien in nationales Recht?
Wir erhoffen uns, dass dadurch zumindest die Mehrheit der Menschen von einem gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen, Land und Wasser profitieren kann, der ihnen vorher verwehrt blieb. Auch hoffen wir, dass die Bevölkerung in der Lage sein wird, Nahrungsmittel nachhaltig und umweltfreundlich herzustellen.
Welche Rolle spielt hierbei die Agrarökologie?
Die Agrarökologie trägt zur Erhaltung der Umwelt und ihrer nachhaltigen Nutzung bei. Auch hilft sie bei der Bekämpfung des Klimawandels, weil klimafreundliche Agroforstwirtschaft und weniger Chemikalien und Pestizide zum Einsatz kommen. Außerdem fördert die Agrarökologie eine gesunde Ernährung.
Was sind die wichtigsten Fälle, an denen FIAN Zambia derzeit arbeitet?
Ein wichtiger Fall betrifft die Investition des deutschen Unternehmens Amatheon Agri, welcher eine riesige Landfläche – mehr als 40.000 Hektar – aufgekauft hat. Das Unternehmen respektiert die Menschenrechte nicht, wodurch Tausende von Menschen ihre gewohnte Lebensweise aufgeben mussten, auch durch Zwangsumsiedlungen. Ein weiteres Problem ist der Dangote-Fall, bei dem ein Zementunternehmen Wasserressourcen kommerzialisiert hat. Dadurch wurden 150 Haushalte vom Zugang zu Wasser abgeschnitten. Ein dritter Fall betrifft eine Palmölplantage des Unternehmens ZamPalm: Diese befindet sich in einem Feuchtgebiet, einem der wichtigsten Ökosysteme in Afrika. Der Einsatz von Agrochemikalien gefährdet die Existenz des Feuchtgebiets. Auch arbeiten wir an einem Fall, in dem eine Fischergemeinschaft im südlichen Teil von Sambia betroffen ist: 500 Fischer*innen wurden von der Regierung brutal von einer Insel vertrieben. Wir planen, dagegen vorzugehen und sicherzustellen, dass die Rechte der Fischer*innen wiederhergestellt werden. (Anm.: ein weiterer Fall wird auf der folgenden Doppelseite dargestellt).
Wie kooperieren FIAN Zambia und FIAN Deutschland?
Wir arbeiten zusammen, um die Staaten auf ihre extraterritorialen Pflichten hinzuweisen – auch Deutschland. Wir setzen uns gemeinsam dafür ein, dass der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Sambia eingehalten wird, dass Unternehmen die Menschenrechte respektieren und auch, dass die Regierung sich stärker dazu verpflichtet, diese Rechte zu respektieren und zu schützen. Weitere Kooperationen bestehen in der Verwaltung natürlicher Ressourcen wie Wasser und in der Förderung der Agrarökologie.
Das Interview führten, übersetzten und redigierten Julia Bernstein und Nina Uretschläger.