von Sarah Widdig
Die Bundesregierung lobt die Kooperation mit Tansania im Bereich Naturschutz. Aktuell investiert sie dort 83 Millionen Euro. Ziel der Unterstützung sei der „Schutz natürlicher Lebensgrundlagen“. In Anbetracht von Gewalt und Vertreibung der Maasai rund um den Serengeti Nationalpark stellt sich jedoch die Frage, ob die Investitionen menschenrechtlich zu rechtfertigen sind. Im Mai dieses Jahres reiste eine Maasai-Delegation durch Europa, um Unterstützung zu gewinnen. FIAN hat die Reise begleitet und die Aktivitäten in Deutschland koordiniert.
Im Juni 2022 erklärte die tansanische Regierung, dass ein Drittel des Bezirks Loliondo, welcher an den Serengeti Nationalpark grenzt, ab sofort ausschließlich für den Naturschutz vorgesehen sei. Dies entspricht etwa der dreifachen Fläche des Bodensees. Alle 70.000 Bewohner* innen, hauptsächlich vom Volk der Maasai, müssten das Land umgehend verlassen. Die Maasai leben seit Generationen in der Region und besitzen legitime Rechte auf die Nutzung der Gebiete.
Am 7. Juni rückten circa 700 Sicherheitskräfte an. Als sich die Menschen weigerten zu gehen, eröffneten sie das Feuer auf eine Gruppe Protestierender. Es gab mehrere Verletzte und zwei Tote. Die Gemeindesprecher wurden inhaftiert. Heute ist das Gebiet vollständig geräumt. Die ehemaligen Bewohner leben in angrenzenden Gebieten, ohne Zugang zu ihrem bisherigen Weideland – für das Hirtenvolk ist dieser Zugang jedoch existentiell und sichert ihr Menschenrecht auf Nahrung. Wenn sich Tiere auf das alte Land verirren, werden sie konfisziert und versteigert. Manchen Familien bleiben von mehreren hundert Tieren heute nur noch ein paar Dutzend. Viele leiden Hunger, besonders Kinder.
Ähnlich geht es den Maasai im angrenzenden Ngorongoro- Schutzgebiet. Bis 2027 sollen 82.000 Personen umgesiedelt werden. hier geht die Regierung weniger mit direkter Gewalt vor – wohl auch wegen der Anwesenheit von Tourist* innen. Während offiziell von „freiwilligen Umsiedlungen“ die Rede ist, stellt die Regierung jegliche Sozialleistungen ein. Durch zusätzliche Transportgebühren sorgt sie zudem für einen mangelnden Zugang zu Grundnahrungsmitteln. Die Ernährungslage verschlechtert sich aktuell dramatisch.
Der Beginn der Vertreibungen
Vielen Menschen bleibt ohne Schulen und Krankenhäuser und wegen der hohen Nahrungskosten keine andere Wahl, als zu gehen. Als Begründung für die Maßnahmen äußert die tansanische Regierung, dass der Schutz von Umwelt und Biodiversität nur gelingen könne, wenn keine Menschen in den Gebieten leben.
Diese Argumentation ist nicht neu. Dieser Diskurs wurde bereits von dem bis heute berühmten Zoologen Bernhard Grzimek mitgeprägt. Jener reiste in den 1950er Jahren für Forschungszwecke nach Tansania und fing Wildtiere ein, um sie im Frankfurter Zoo auszustellen. Zugleich warnte er vor dem Einfluss menschlicher Siedlungen. Die britische Kolonialmacht beschloss, jegliche Siedlungen im Serengeti Nationalpark zu verbieten. Mit dem Versprechen, das neu zugewiesene Gebiet nie wieder verlassen zu müssen, wurden die Maasai umgesiedelt – in ebenjenes Gebiet, aus dem sie heute doch wieder vertrieben werden.
Die direkten und indirekten Vertreibungen der Maasai verletzen sowohl nationales Recht – bei dem Land in Loliondo handelt es sich beispielsweise um registriertes Dorfland – sowie eine Reihe internationaler Menschenrechte schwerwiegend. Hierzu gehören die Rechte auf Wohnen, Land, Wasser, Nahrung, Bildung und Teilhabe am kulturellen Leben. Basierend auf menschenrechtlichen Normen müssten die Umsiedlungen zudem mit den Betroffenen abgestimmt und ihre Zustimmung eingeholt werden. Auch dies ist nie geschehen.
Das Spiel mit dem Naturschutz
Laut Berichten der UNESCO und der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, auf die sich die tansanische Regierung beruft, bedrohen der Populationsanstieg der Maasai und ihrer Tiere die Umwelt und den Lebensraum der Wildtiere. Dem widersprechen jedoch viele Wissenschaftler* innen: Viehhirten wie die Maasai haben ihre Lebensweise ihrer Umwelt so angepasst, dass es ihnen gelingt, ihre Herden trotz sehr begrenzter Ressourcen ertragreich zu halten. Aufgrund der engen Verbindung mit der Natur ist es ihnen ein lebenswichtiges Anliegen, diese zu schützen: Häuser werden nie aus ganzen Bäumen, sondern nur aus Ästen gebaut. Wasserstellen werden unter klaren Absprachen genutzt, sodass sie nicht versiegen. Wildtiere werden nicht gejagt und Brutstellen gemieden. Herden grasen
an wechselnden Orten.
Die Maasai sind somit ein wichtiger Bestandteil ihres Ökosystems. Die Orte, an denen sie leben, weisen oftmals sogar eine erhöhte Biodiversität auf. „Wenn es wirklich um den Naturschutz ginge, dann wären die Maasai die letzten, die es zu bekämpfen gälte“, so Menschenrechtsanwalt Joseph Oleshangay gegenüber FIAN.
Die Argumentation der Regierung wird zudem von zwei Entwicklungen konterkariert: Zum einen erteilte sie einem Unternehmen aus Dubai eine Jagdlizenz, welche ausgerechnet für das neu ernannte Schutzgebiet in Loliondo gilt. Zudem wird der boomende Tourismus nicht nur geduldet, sondern stark gefördert. Für Hotels in den Schutzgebieten werden Straßen gebaut und viel Wasser benötigt. Mit den Safaris fahren täglich hunderte Jeeps durch den Lebensraum der Wildtiere. Mit dem Argument des Naturschutzes wird offenbar nur gespielt. Eigentlich geht es um ein lukratives Geschäft – ein Geschäft, in das die Maasai nicht einsteigen können und wollen.
Maasai-Delegation trifft europäische Politik und Regierungen
Im Mai trat eine Gruppe von fünf Maasai eine Reise nach Europa an, um Unterstützung für ihre Forderungen gegenüber der tansanischen Regierung zu erlangen. Ein weiteres Ziel war die Transparenz und Korrektur der Entwicklungszusammenarbeit: Die Maasai sind überzeugt, dass europäische Gelder für Naturschutzprojekte in Tansania mit den Vertreibungen ihres Volkes in Zusammenhang stehen.
Betroffene aus Ngorongoro und Loliondo waren Teil der Delegation und sprachen für ihre Gemeinden – zuerst in Deutschland, dann in Rom, Österreich und schließlich in Brüssel. Innerhalb von zwei Wochen wurden circa 45 Gespräche mit der Presse, Politiker* innen, Regierungsstellen, kirchlichen Versammlungen, der Zivilgesellschaft und EU-Stellen geführt. FIAN koordinierte und begleitete die Reise in Deutschland. Um die Sicherheit der Delegation zu gewährleisten, wurde so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie möglich geschaffen – denn in den letzten zwei Jahren wurde es zunehmend gefährlich, sich kritisch zum Thema zu äußern.
Bitte stellen auch Sie sich hinter die Maasai und unterstützen Sie unsere Unterschriften– und Briefaktion.
Menschenrechtliche Verantwortung von Deutschland
Neben den USA ist Deutschland der größte finanzielle Geber für Natur- und Umweltschutz in Tansania. Jedoch ist nicht sichergestellt, dass Teile davon nicht zu den Vertreibungen beitragen. Zwar erklärt die Bundesregierung, dass alle von Deutschland geförderten Maßnahmen unter strengen Richtlinien und Prüfungen erfolgten. Auf Anfragen von FIAN wurde eine Einsicht in diese Prüfungen allerdings verweigert. Darüber hinaus gibt es sehr berechtige Zweifel an der Darstellung: Ein Bericht der tansanischen Regierung belegt, dass die Frankfurter Zoologische Gesellschaft (FZG), ein Partner der deutschen EZ, an einem Landnutzungsplan in zentraler Rolle beteiligt war, welcher die Landnahme von 1.500 Quadratkilometern in Loliondo legitimieren sollte.
Bei ihren Treffen in Deutschland appellierte die Maasai-Delegation an das Entwicklungsministerium, die KfW, das Auswärtige Amt und die FZG, die Menschenrechte bei ihren Projekten in Tansania zu beachten. Sie forderten nachdrücklich: „Wenn Sie nicht sicherstellen können, dass nicht ein einziger Cent Ihres Geldes an den Menschenrechtsverletzungen in unserer Heimat beteiligt ist, dann behalten Sie ihr Geld!“. Während die FZG ihre Beteiligung bestritt, versicherten die Ministerien, dass sie der tansanischen Regierung ihre Bedenken in künftigen Regierungsgesprächen vortragen werden. Darüber hinaus erklärten sie sich bereit, die Probleme über die deutsche Botschaft in Dar es Salaam anzusprechen. Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages sagte zu, die Situation weiterhin durch parlamentarische Besuche in Tansania und eine genaue Beobachtung der Maßnahmen der Regierung zu verfolgen.
FIAN wird die Maasai in ihren Forderungen an die Bundesregierung weiterhin unterstützen. Bis zur vollständigen Offenlegung der deutschen Finanzflüsse in den „Naturschutz“ in Tansania bleibt die Verantwortung Deutschlands in diesem Konflikt weiter zu hinterfragen.
Sarah Widdig, FIAN Bundesfreiwillige von 2022-2023, koordinierte die Delegationsreise der Maasai und ist Teil der Internationalen Maasai-Solidaritätsallianz (MISA).
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem neuen FoodFirst, das FIAN-Mitgliedermagazin. Sie sind neugierig auf weitere spannende Artikel geworden? Das FoodFirst-Magazin können Sie hier abonnieren. Oder sichern Sie sich ein kostenloses Probeexemplar in gedruckter Form. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an info@fian.de.