von Marina Moslavac
Die COVID-19-Pandemie hat länderübergreifende Diskussionen über die Balance zwischen staatlichen Eingriffen zur Eindämmung der Virusausbreitung und der Wahrung der Menschenrechte ausgelöst. Dabei verschärft sich die Ernährungslage in vielen Teilen der Welt. In Südafrika und Syrien beispielsweise veränderte sich der Ernährungsalltag der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie durch Lockdown und Grenzschließungen enorm. Die Ergebnisse einer Masterarbeit zeigen, dass sich die schon vor Beginn der Corona-Krise teils katastrophale Lage von Hunger, Mangelernährung und Armut dramatisch verschärft hat. Und auch die Zukunft sieht nicht rosig aus.
Was wurde untersucht?
Ziel war es, die Herausforderungen für das Menschenrecht auf Nahrung zu untersuchen, welche sich durch die Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus und dessen Nebeneffekte ergeben können. Dazu wurden Experteninterviews mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und anderen Akteuren geführt. Südafrika und Syrien wurden als Länderbeispiele herangezogen. Der Blick lag insbesondere auf den vier Teilen des Menschenrechts auf Nahrung: Zugang, Verfügbarkeit und Stabilität von Nahrungsmitteln sowie einer angemessenen Ernährungsweise der Bevölkerung.
Die Ergebnisse
In beiden Ländern wird während der COVID-19-Pandemie das Menschenrecht auf Nahrung verletzt. In Südafrika zeigt sich die größte Herausforderung im Bestehen zweier Mangelernährungsformen. Zum einen nehmen die Menschen zu wenig Kalorien auf und hungern. Zum anderen weisen viele Südafrikaner und Südafrikanerinnen einen Mikronährstoffmangel auf. Eine klare Menschenrechtsverletzung. Grund für diese Mangelernährung ist unter anderem der harte Lockdown im Frühjahr 2020, welcher enorme Einschränkungen des öffentlichen Lebens und damit des Nahrungszugangs für die Bevölkerung mit sich brachte. Viele Menschen verloren ihre Arbeit und damit ihr Einkommen. Die Arbeitslosenzahl und die Armutsquote im Land erhöhten sich enorm. Wer wenig oder nichts verdient, hat es schwer, an Nahrung zu kommen – ganz zu schweigen von einer angemessenen Ernährungsweise. Die Abwärtsspirale verschärft sich bis hin zum Hungertod. Um dies zu vermeiden, wurden kurzerhand finanzielle Hilfen und Nahrungsmittelpakete von Privatpersonen und der Regierung bereitgestellt. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn Korruption und Bandenkriminalität, Bewegungseinschränkungen von Landwirten aufgrund der Lockdownrestriktionen, die vorläufige Stilllegung der Landreform und eingeschränkte Öffnungszeiten der Supermärkte führen zu einer dramatischen Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung.
Bei Betrachtung der politischen Ebene zeigt die Arbeit, dass es für Südafrika zwar einerseits theoretische, staatliche Konzepte gibt, die Herausforderung dabei jedoch in deren Umsetzung liegt.
Die größte Herausforderung in Syrien ist die bestehende Gesamtsituation. Dazu zählt zum einen der bewaffnete Konflikt und die damit in Verbindung stehende politische Instabilität. Auch die bestehende Wirtschafts- und Währungskrise verbessert nicht die Situation. Kriegshandlungen, schlechte Lebensmittelverteilung im Land und die einkommensschwache Lage vieler Menschen verschlechterten seit Beginn der COVID-19-Pandemie den Nahrungszugang für die Menschen. Wie auch in Südafrika stieg in Syrien während der Pandemie die Arbeitslosigkeit und das Einkommen sank. Bei gleichzeitig steigenden Lebensmittelpreisen steigt auch die Gefahr von Hunger und Mangelernährung für die Menschen. Denn die Preiserhöhung führt bei gleichem Einkommen häufig zu inadäquater Ernährung, da billigere und ungesündere Lebensmittel bevorzugt verzehrt werden. Eine sich verschärfende Hungerkrise, chronische Nährstoffmangelerscheinungen und steigende Ernährungsunsicherheit zeigen die Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung in Syrien. Die Nahrungsverfügbarkeit wird durch die politische Instabilität begrenzt. Das passiert durch Einschränkungen im Warenimport und -export, die geringe Anzahl an internationalen Handelspartner für Lebensmittel, geringe Auslandsinvestitionen in den syrischen Markt und prekäre Bedingungen für den Lebensmittelanbau. Mit Hilfslieferungen von Nahrung und Lebensmittelgutscheinen verbessern Hilfsorganisationen zwar die Nahrungsverfügbarkeit, jedoch nur über einen kurzen Zeitraum. Langfristige Projekte werden vermieden, da die derzeitige politische Lage in Syrien kritisch gesehen wird und Agrarflächen zerbombt werden.
Der Missbrauch von Nahrung als Kriegswaffe durch das syrische Regime und anderen Akteuren stellt eine klare Menschenrechtsverletzung dar. Die machtpolitische Instrumentalisierung und Zweifel an Verpflichtungseinhaltungen sind besondere Herausforderungen für die derzeitige Einhaltung des Menschenrechts auf Nahrung in Syrien.
Insgesamt muss erwähnt werden, dass es in beiden Ländern Menschen gibt, denen das Menschenrecht auf Nahrung gewährt wird. Wer Geld hat, der hat auch die Möglichkeit, sich angemessen zu ernähren. Zudem können diese Ergebnisse teils auch auf andere Länder übertragen werden.
Zukunft
Auch in Zukunft wird sich die Situation vermutlich nicht verbessern und das Menschenrecht auf Nahrung weiterhin teils dramatisch verletzt werden. Um eine angemessene Gewährleistung des Menschenrechts anzustreben, bedarf es in beiden Ländern die Umsetzung kurz- und langfristiger Maßnahmen. Kurzfristig helfen Nahrungsmittelpakete, insbesondere in schwierigen Zeiten wie während der aktuellen COVID-19-Pandemie. Dabei sollte das Augenmerk auf vulnerablen Gruppen liegen, welche besonders von der Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung betroffen sind. Langfristig müsste sich in Syrien die politische Struktur sowie die Machtverhältnisse ändern. Nur durch eine dramatische politische Umstrukturierung kann der Eigenanbau gefördert und der Warenhandel verbessert werden. In Südafrika könnte beispielsweise ein verbesserter gesundheitlicher und finanzieller Schutz für Menschen in Armut dazu führen, dass sich ihre Ernährungssituation verbessert. Eine Reduzierung von Ungerechtigkeiten in Bezug auf angemessenen Nahrungszugang könnte in beiden Ländern die Menschenrechtslage deutlich verbessern. Das wichtigste ist, die derzeitigen Menschenrechtsverletzungen zu erkennen und dagegen anzugehen.