Im Oktober war Felipe Campelo, Agrarsoziologe und Koordinator des Bildungszentrums für Agrarökologie und Forstwirtschaft der brasilianischen Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (Mst) zu gast in Köln. FIAN-Referentin Almudena Abascal sprach mit ihm über Agrarökologie, Ernährungssouveränität und die politischen Perspektiven in Brasilien. Übersetzung: Freya Borger
„Felipe, Du bist an der Escola Popular Eugídio Brunetto tätig. Dort werden agrarökologische Methoden gelehrt. Wie sehen die Prinzipien dort aus und wie unterscheiden sie sich vom agrarindustriellen Modell?“
Wir befinden uns dort mitten im atlantischen Regenwald mit seiner großen Artenvielfalt. Der Aufbau der agrarökologischen Siedlungen resultierte aus dem Kampf gegen Monokulturen, Landkonzentration, hohen Pestizideinsatz und Exportorientierung. Die MST tritt dieser Logik, die keinerlei Rücksicht auf die Umwelt nimmt, entgegen. Wir gehen dabei von drei Prinzipien aus: Erstens einem sozialen Kampf, um
den Zugang zu Land zu demokratisieren. Zweitens die Wiederherstellung der lokalen Biodiversität, denn nur noch sieben Prozent des atlantischen Regenwaldes sind vorhanden. Und drittens der Produktion gesunder
Nahrungsmittel.
„Während der Bolsonaro-Regierungfand sich Brasilien wieder auf der UN-hungerliste. 2022 waren 125 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen. Was sind die Gründe?“
Das Problem des Hungers ist chronisch. Eine Schande für ein Land wie Brasilien mit einer so großen Produktion von Nahrungsmitteln! Doch diese gehen meist in den Export und dienen nicht der Ernährung. Als Lula 2002 seine erste Regierung bildete, hat er den ärmsten Teil der Bevölkerung in die Wirtschaft integriert und Brasilien aus dem Hungerszenario befreit. Nach dem Putsch von 2016 wurde jedoch eine neoliberale Agenda implementiert und die Hungerbekämpfung gestrichen.
„Welche Rolle spielen Agrarökologie und Familienlandwirtschaft bei der Bekämpfung des Hungers?“
Familienbetriebe erzeugen 85 Prozent der Lebensmittel, besitzen aber nur 20 Prozent der Agrarflächen. 80 Prozent hingegen liegen in den Händen der Agrarindustrie. Die Stärkung bäuerlicher Familienbetriebe und die Unterstützung für die Produktion gesunder Lebensmittel sind daher von grundlegender Bedeutung.
„Lulas Regierung hat 232 neue Pestizide zugelassen und der Produktion von Düngemitteln Priorität eingeräumt. Wie steht die Regierung zur Agrarökologie?“
Ein großer Teil des Parlaments, 230 von 530 Abgeordneten, vertritt die Agrarlobby. Die Freigabe von Agrochemikalien erfolgte vor Lulas Amtszeit. Ich finde jedoch die momentane Ausrichtung auch sehr schwierig. Vergleichen Sie die Haushaltsmittel für die Agrarindustrie (400 Milliarden Real) und für die Familienlandwirtschaft (60 Milliarden Real). Die Förderung der Agrarökologie auf staatlicher Ebene ist nicht sehr stark.
„Was sind die größten Bedrohungen für die Agrarökologie?“
Das Vordringen der Agrarindustrie und der großen internationalen Konzerne in den Amazonas, in den cerrado, in den Atlantischen Regenwald, in indigenes Land, in Quilombola-Land und die Landreformsiedlungen.
„2023 unterzeichnete die Regierung Lula eine Vereinbarung zu Schulspeisungen.30 Prozent der Lebensmittel müssen aus der Familienlandwirtschaft stammen. Auf welche hindernisse stößt die Familienlandwirtschaft?“
Es ist ein großes Problem für die Familienlandwirtschaft, Zugang zu Märkten zu erlangen. Die staatlichen Einrichtungen standen schon immer im Dienst der Agrarindustrie.
Lula ist der erste Präsident, der der Familienlandwirtschaft einen Platz einräumt. Ich habe es in unserem camp erfahren: Wir haben Nahrungsmittel produziert, hatten aber
große Schwierigkeiten, diese zu verkaufen. In dieser Hinsicht leistet das Schulmahlzeitenprogramm einen großen Beitrag.
„Deutschland ist einer der großen Pestizidproduzenten. Aktuell wird ein Exportverbot gefährlicher Pestizide diskutiert. Die Chemie-Industrie behauptet, dass diese notwendig sind, um die Ernährung sicherzustellen. stimmt das?“
Das ist eine große Lüge. Ich arbeite in einer Agrarschule, in der wir zeigen, dass man ohne Gift produzieren kann. Aber man braucht dafür natürlich Wissen und Zugang zu bestimmten Technologien. Das bestehende Landwirtschaftsmodell, das auf Monokulturen basiert, ist nicht an die lokalen Bedingungen angepasst. Wir von der Escola Popular und andere haben gezeigt, dass eine andere Art der Produktion möglich ist. Wir
haben agrarökologische Siedlungen, die kein Gift verwenden.
„Was bedeutet die UN-Kleinbauernerklärung UNDROP für die Bauern und Bäuerinnen?“
Die Erklärung versteht den Wissensschatz, den die Bauern und Bäuerinnen über Jahrhunderte hinweg aufgebaut haben, als ein Erbe. Das hat sehr viel mit Ernährungssouveränität zu tun. Die Vielfalt der Lebensmittel ist ein Aspekt, der grundlegend für unsere Existenz auf dem Land ist.
Das Interview zum Download hier.
Kostenloses Probeexemplar anfordern unter Info@fian.de sowie Social Media.