Ende März fand im Rahmen der 183. Sitzungsperiode der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eine öffentliche Anhörung zur Agrarpolitik in Paraguay statt. Anwesend waren Vertreter*innen der paraguayischen Regierung, der Vereinten Nationen sowie Vertriebene und zivilgesellschaftliche Organisationen. Anlass war die paraguayische Politik, die unter dem Deckmantel der Agrarreform zu gewaltvoller Vertreibung von bäuerlichen und indigenen Gemeinden führt. Alleine im Jahr 2021 wurden mehr als 5.000 Menschen Opfer von gewaltsamen Zwangsräumungen.
Agrarreform gescheitert
Paraguay zählt zu den Ländern mit der stärksten Landkonzentration: 94 Prozent des Ackerlandes gehören großen Betrieben und der Agrarindustrie, lediglich sechs Prozent indigenen und kleinbäuerlichen Familien. Zwar gilt die Umverteilung von Land offiziell als Kernziel der Agrarreform, dies wird jedoch kaum umgesetzt. Großgrundbesitzer*innen, die ihr Land auf unrechtmäßige Weise erworben haben, werden systematisch geschützt. Die Rede ist von den knapp acht Millionen Hektar „tierras malhabidas“ – Ländereien, die während der Stroessner-Diktatur (1954-1989) an die rechtmäßigen Begünstigten der Agrarreform hätten übergeben werden sollen, aber stattdessen illegal an Verbündete des Regimes gingen. Anstatt jedoch Großgrundbesitz zu enteignen, werden kleinbäuerliche und indigene Gemeinden ohne offizielle Landtitel oft brutal vertrieben. Der Staat entzieht den Betroffenen hierdurch ihre Lebensgrundlage, ohne ihnen einen alternativen Zugang zu Land zu bieten. Nicht selten kommt es bei den Vertreibungen zur Zerstörungen von Häusern und Vorräten sowie zum Diebstahl von Eigentum und Nutztieren. Das Protokoll für die Durchführung von Räumungen wurde von der Regierung selbst im Jahr 2019 aufgehoben.
Politisches Versagen
Paraguay hat die Menschenrechte, die in der UN-Charta und den Menschenrechtsverträgen aufgeführt sind, einzuhalten. Dies gilt auch für den Schutz von Indigenen und deren Zugang zu Land, wie er in der ILO 169 aufgeführt wird, welche Paraguay ratifiziert hat. Die paraguayische Verfassung sieht zudem zwei Behörden vor, die für den Schutz indigener Rechte verantwortlich sind: Das Institut für Indigene (INDI) und das Institut für Land und ländliche Entwicklung (INDERT); letzteres ist für die Umsetzung der Agrarreform zuständig.
In der Theorie sind indigene Rechte also geschützt, die Realität ist jedoch eine andere. So ergab eine Studie der Menschenrechtskoordination Paraguay (CODEHUPY), dass sich unter den 5.000 Vertriebenen im vergangenen Jahr 725 indigene Familien befanden. Dennoch wurde das Budget für 2021 von INDI um 16 Prozent und das von INDERT um 25 Prozent gekürzt.
Die Betroffenen werden von Seiten der Regierung nicht nur ignoriert, sondern auch gezielt kriminalisiert. So wurden die Strafen des Zavala-Riera-Gesetzes für unbefugtes Betreten in „fremdes“ Eigentum in den letzten Jahren stufenweise angehoben. Betroffen hiervon sind auch diejenigen, die ihr Land nicht verlassen wollen. Während die hierfür vorgesehene Haftstrafe anfangs zwei Jahre betrug, ist sie 2021 auf zehn Jahre erhöht worden. Seit dessen Verabschiedung im September 2021 wurden bis Februar 2022 bereits 54 Personen angeklagt. Ihnen drohen nun bis zu zehn Jahre Haft.
(K)ein Funken Hoffnung?
In der Anhörung vom 17. März behaupteten Vertreter der Regierung, dass die Zwangsräumungen in Übereinstimmung mit der Gesetzeslage durchgeführt wurden. In der Realität aber werden die Vertreibungen häufig ohne Gerichtsbeschluss, sondern mit Anordnungen von nicht dazu befugten Staatsanwälten vorgenommen. Der Menschenrechtsanwalt Abel Areco beschuldigt die Regierung außerdem, nicht aktiv nach Lösungen zu suchen. Seitens der Zivilgesellschaft wird kritisiert, dass der Staat oft erst nachdem die Räumungen durchgeführt wurden überprüft, ob diese überhaupt rechtmäßig waren. Bäuerliche und indigene Gruppen formulierten gemeinsam mit CODEHUPY zwei Forderungen: Erstens, dass sie in die „Kommission für die Wiedererlangung unrechtmäßig erworbener Ländereien“ einbezogen werden und zweitens die Ausarbeitung neuer Bestimmungen für die Durchführung von Zwangsräumungen, in denen die Menschenrechte und der Zugang zu Land Beachtung finden. Ob und inwiefern diese Forderungen akzeptiert werden und ob die Regierung sich in Zukunft stärker für die Rechte der Vertriebenen stark macht, bleibt abzuwarten.