Die neusten Hungerzahlen aus Lateinamerika und der Karibik sind alarmierend. Die Zahl der hungernden Menschen in den vergangenen zwei Jahre ist um 13Millionen gestiegen – seit 2015 hat sie sich auf dem südamerikanischen Subkontinent gar verdoppelt.
Die Welternährungsorganisation FAO zählt 56,5 Millionen Menschen, die akut an Hunger leiden. Insgesamt 268 Millionen Menschen leben in Ernährungsunsicherheit. Damit stammen weltweit betrachtet 7,4 Prozent der Hunger leidenden Menschen aus Lateinamerika. In Brasilien und Paraguay sind die Ursachen für diese Entwicklung exemplarisch: Während die Agrarindustrie Menschen häufig ihrer Lebensgrundlage beraubt, zieht sich der Staat sich zunehmend aus seiner Verantwortung zurück, dass Menschenrecht auf Nahrung zu schützen, zu achten und zu gewährleisten.
Brasilien: Wieder auf der Hungerkarte
Während Brasilien 2014 gar von der FAO-Hungerkarte gestrichen wurde, zeichnen die neusten Hungerzahlen für das Land wieder ein düsteres Bild. Laut offiziellen Angaben der FAO haben über 30 Millionen Brasilianer*innen keinen oder unzureichenden Zugang zu Nahrung. Ursache ist meist fehlender Zugang zu und Kontrolle über die Ressourcen, mit denen Nahrungsmittel erzeugt werden könnten. Geschützt vom Staat holzt die Agroindustrie Wälder ab, legt Plantagen an, beutet Menschen und Natur rücksichtslos für ihre Profitinteressen aus. Diese Form der Landwirtschaft zerstört Anbauflächen für Grundnahrungsmittel und zerstört lebensnotwendige Wasserquellen. Angebaut wird vor allem für den Export.
Zu den Profiteur*innen gehören auch europäische Supermarktketten, die durch ihre Marktmacht Einkaufpreise drücken können. Auch Deutschland fördert den Verlust von Anbauflächen zugunsten exportorientierter Monokulturen: 5,6 Millionen Tonnen Soja importierte Deutschland vergangenes Jahr insgesamt – davon kamen 2,6 Millionen Tonnen aus Brasilien.
Nayara Cortes Rocha, Referentin FIAN Brasilien sagt: „Die derzeitige Regierung hat die Strukturen zerstört, die zuvor erfolgreich vor Hunger geschützt haben.“
Zudem wurden unter Brasiliens Präsident Bolsonaro systematisch Institutionen abgebaut und Finanzierungen für Basisorganisationen zurückgezogen. Exemplarisch für die Zerstörung demokratischer Strukturen war die Auflösung des Nationalen Rates für Ernährungssicherheit CONSEA (Conselho Nacional de Segurança Alimentar e Nutricional) unmittelbar nach Amtsantritt von Jair Bolsonaro im Januar 2019. Diese Strukturen hatten zuvor einen wesentlichen Anteil am Rückgang von Armut und Hunger in Brasilien – sie ermöglichten beispielsweise Schulessen aus regional produzierten Lebensmitteln.
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Paraguay: Landkonzentration und Kriminalisierung
Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Paraguay ab. Menschen leiden Hunger, weil ihre Ländereien von der Agrar- und Holzwirtschaft beschlagnahmt werden. Allein im letzten Jahr wurden mindestens 5.000 Kleinbäuer*innen und Indigene gewaltsam von ihren Länderein vertrieben. Rund 300.000 Bäuer*innen warten bis heute auf die Rückgabe ihres rechtmäßigen Landes. Trotz der Agrarreform seitens der Regierung, zählt Paraguay zu den Ländern mit der höchsten Landkonzentration: 94 Prozent des Ackerlandes gehören großen Betrieben und der Agrarindustrie, lediglich sechs Prozent indigenen und kleinbäuerlichen Familien. Zwar gilt die Umverteilung von Land offiziell als Kernziel der Agrarreform, dies wird jedoch kaum umgesetzt. In der Folge verlieren die Betroffenen ihre Lebensgrundlage.
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FIAN Referent Abel Areco aus Paraguay berichtet: „Für Indigene und Kleinbäuer*innen ist der Zugang zu Land eine Frage von Leben und Tod. Das Agro-Business produziert für den billigen Export, Kleinbäuer*innen produzieren für die Menschen!“
Kampf für das Recht auf Nahrung wird zunehmend kriminalisiert
Die Gewalt hat im Kontext der Konflikte um Land in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Menschen, die sich für Land- und Menschenrechte oder die Anliegen von Frauen, Indigenen oder Bäuer*innen einsetzen, werden in vielen lateinamerikanischen Ländern systematisch kriminalisiert, verfolgt und bedroht. Alleine in Brasilien wurden letztes Jahr 20 Menschenrechts- und Umweltverteidiger*innen ermordet. Ein neues Kriminalisierungsgesetz in Paraguay sieht eine 10-Jährige Haftstrafe für „Landbesetzungen“- Menschen, die ihr rechtmäßiges Land nicht verlassen wollen – vor. Seit dessen Verabschiedung im September 2021 wurden bereits 60 Personen angeklagt.
Frauen sind am stärksten betroffen
Unter der zunehmenden globalen Hungerkrise leiden vor allem Frauen. Im Jahr 2021 waren 31,9 Prozent der Frauen in der Welt mäßig oder stark von Ernährungsunsicherheit betroffen, gegenüber 27,6 Prozent der Männer.
Die Geschlechterungerechtigkeit ist in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik besonders ausgeprägt, wo der Unterschied zwischen Männern und Frauen im Jahr 2021 bei 11,3 Prozent, verglichen mit 9,4 Prozent im Jahr 2020 liegt.
FIAN stärkt Menschenrechte
FIAN setzt sich dafür ein, dass die grundlegenden Menschenrechte auf Nahrung, Wasser und Land geschützt werden. Gemeinsam mit den lateinamerikanischen Schwestersektionen und unserem Internationalen Dachverband machen wir auf Missstände aufmerksam und rücken die Forderungen der Betroffenen von Vertreibung, Ausbeutung und Umweltzerstörung in den Vordergrund. Eine Hungerbekämpfung basierend auf dem Menschenrecht auf Nahrung bedeutet ganz besonders, dass die Betroffenen von Hunger selbst mit an den Lösungen zur Hungerbekämpfung arbeiten müssen. Dafür setzt sich FIAN in seiner täglichen Arbeit ein.
Dank Ihrer Hilfe können wir uns für die Rechte auf Land und Nahrung in Brasilien, Paraguay und anderen Ländern einsetzen. So können sie unsere Arbeit für das Recht auf Nahrung stärken:
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