FIAN hatte vor kurzem noch die Gelegenheit, Jakeline bei einer Lobby-Reise in Deutschland zu treffen. Im Oktober 2023 sprach FIAN-Referent Marian Henn mit ihr im Rahmen einer Fotoausstellung über die Folgen von Windkraft-Projekten auf der Guajira-Halbinsel, Extraktivismus und die Fallstricke des Strukturwandels hin zu einer klimaneutralen Wirtschaftsordnung. Mit der Organisation Fuerza de Mujeres Wayuu kämpfte Jakeline gegen Menschenrechtsverletzungen beim Steinkohleabbau in der Mine El Cerrejón. Ende Februar ist sie leider unerwartet verstorben. FIAN hat der Familie kondoliert.
Aus welchem sozialen und politischen Kontext ist Fuerza de Mujeres Wayuu entstanden?
Durch den bewaffneten Konflikt gab es unzählige Vertreibungen und Morde. Unsere Arbeit bestand zu Beginn vor allem darin, die Opfer zu begleiten und ihre Situation national und international sichtbar zu machen. Das hat sich dann übertragen auf den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, die mit dem Bergbau in der Guajira-Halbinsel verbunden sind. Doch wir wenden uns auch gegen patriarchale Strukturen, die die Rolle von Frauen unsichtbar machen. Sie sagen, wir Frauen seien „heilig“. Aber wenn wir Mitbestimmung einfordern, dann schicken sie uns in die Küche.
Die auf der Halbinsel La Guajira im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist mit einer Fläche von 69.000 Hektar der größte Steinkohletagebau der Welt. 1980 wurde mit den Erschließungsarbeiten begonnen. Seitdem wurden durch die Mine und die Infrastruktur (Eisenbahnlinie und Hafen) große Teile des Territoriums der Indigenen Wayúu zerstört. Aktuell rückt die Region zunehmend in den Fokus von grüner Energiegewinnung.
Ein zentraler Aspekt eurer Kritik ist der Verlust von Ernährungssouveränität. Wie hat sich die Situation entwickelt?
Die Zahlen sind katastrophal. In zehn Jahren sind tausende Wayúu-Kinder gestorben. Die Behörden sprechen von „Toten durch Unterernährung“, aber sie reden nicht vom wahren Grund, nämlich dem Wasserraub an den Wayúu. Früher gab es in der Guajira Brunnen. Alle hatten in 30 bis 40 Meter Tiefe Wasser, sogar in den trockensten Zonen. Aber der Bergbau hat dazu geführt, dass der Grundwasserspiegel immer tiefer gesunken ist. Zuvor erlaubten es die Wasserreserven, dass die Familien saisonale Obst- und Gemüsesorten anbauen konnten, darunter Mais, Bohnen, Maniok und Kürbisse. Zudem sammeln wir Früchte und haben eine pastoralistische Tradition. Das Vieh der Wayúu ist die Ziege, welche als Nahrung genutzt wird aber auch eine bedeutsame Rolle für die soziale Ordnung spielt.
Welche Rolle spielt der Klimawandel?
Auch vor 30 oder 40 Jahren war die Guajira eine Region mit sehr geringen Niederschlagsmengen. Aber die Leute konnten voraussehen, wann es regnen wird und ihre Aussaat darauf ausrichten. Dieser Kalender, welcher den Wayúu in bestimmten Zeiträumen garantierte, genügend Mais und Bohnen für den Rest des Jahres zu ernten, ist komplett durcheinandergeraten. Früher wurde immer ein Teil der Ernte getrocknet und in gemeinschaftlichen Speichern gelagert. Zudem gab es einen Austausch zwischen den Familien, den trueque. Durch den Wassermangel sind auch diese Praktiken in der Krise. Wir haben also eine Wasser-, Ernährungs- und Klimakrise. Und diese sind alle auf die monströse Kohlemine zurückzuführen. Sie sagen die Klimakrise sei global und betreffe die ganze Welt. Aber man muss auch klar benennen, dass die Klimakrise Gründe hat und Akteure, die diese verursachen.
Wie reagiert der kolumbianische Staat?
Es gibt eine Vernachlässigung historischen Ausmaßes. Es gab nie eine Regierung, die den Wayúu zugehört, geschweige denn sie in politische Planungen einbezogen hat. Dabei bedenke man, dass wir das bevölkerungsreichste indigene Volk Kolumbiens sind. Heute gibt es Programme, die den Gemeinden kleine Kisten mit Milch, Zucker und Keksen bringen. Das garantiert aber keine wirkliche Lebensmittelsicherheit. Reine Wohltätigkeit kann nicht die Lösung sein. Ohne Wasser, was sollen wir machen?
Aktuell wird über einen Ausstieg aus der Kohlemine diskutiert. Welche Forderungen knüpft ihr daran?
Die Halbinsel wird sich nie komplett von den Schäden erholen. Trotzdem erzählen sie uns jetzt das Märchen von der gerechten Energiewende. Aber das sind falsche Lösungen. Länder wie Deutschland haben vollmundig von Dekarbonisierung gesprochen. Doch jetzt sehen wir, wie sie wieder mehr Kohle kaufen. Da frage ich mich: Wo soll die Wende hingehen, wenn wir nicht mal ernsthaft darüber sprechen, wie eine mögliche Minenschließung aussehen kann? Cerrejón hat eine Lizenz zur Kohleförderung bis 2030, und sie werden mit Sicherheit Verlängerungen beantragen, denn aktuell verkaufen sie viel Kohle mehr als noch vor fünf Jahren. Und zeitgleich vergeben sie neue Konzessionen, um das Territorium mit Windparks zu füllen. Und hat sich in der Praxis etwas verändert? Mitnichten! Die Art und Weise, das Land an sich zu reißen ist dieselbe.
Zuletzt hat die Energieministerin erklärt, dass die Region die Welthauptstadt der grünen Energie werden soll.
Ja die Guajira hat beste geographische Bedingungen, viel Sonne und starke Winde. Aber in Wahrheit privilegieren diese Umstände andere. Für die Zukunft unserer Bevölkerung ist das katastrophal. Wenn du anfängst, dieselben Praktiken anzuwenden wie bei fossilen Energieträgern und jetzt Extraktivismus von Luft, Wind, Spiritualität und Kultur der Indigenen Völker betreibst, was ist daran gerecht? Sie haben die Politik nicht mit der Bevölkerung entworfen, weder mit den Wayuu noch mit anderen Indigenen und traditionellen Gemeinschaften.
Deutschland und die neue kolumbianische Linksregierung haben eine Klimapartnerschaft entworfen. Wie sind eure Forderungen?
Die politischen Entscheidungsträger*innen haben aus den Lektionen vergangener Megaprojekte nichts gelernt. Das wäre aber der erste Schritt, um wirklich von einer gerechten Wende sprechen zu können. Lasst uns umsteigen, aber lasst uns vorher auch angemessene Wiedergutmachung betreiben. Und nicht zuletzt muss geprüft werden, welche Fehler gemacht wurden, um diese nicht zu wiederholen. Aber das passiert nicht. Wir sehen bei vielen Windkraft-Projekten Konflikte mit den Gemeinden. Ein Unternehmen hat schon begonnen, sich zurückzuziehen. Damit setzt es die Regierung unter Druck, damit diese wiederum Druck auf die Gemeinden ausübt. Es gibt nicht einen Hauch von Gerechtigkeit. Sie planen über die Köpfe der Gemeinden hinweg.
Deutsche Energieunternehmen kauften 2022 mit rund 7,3 Millionen Tonnen fast vier Mal mehr Steinkohle aus Kolumbien als im Vorjahr. Zudem finanzieren deutsche Banken und Versicherungen den Bergbaukonzern Glencore: Zwischen 2016 und Mitte 2023 flossen 5,8 Milliarden US-Dollar an Krediten und Garantien aus Deutschland an Glencore. FIAN setzt sich gegenüber der Bundesregierung für eine solidarische Ausgestaltung der Klimapartnerschaft ein. Diese muss angemessene Reparationen vergangener Schäden sowie das Tragen von Ewigkeitskosten beinhalten. Zudem ist Deutschland mit der Ratifikation der ILO 169-Konvention verpflichtet, die Rechte Indigener Völker in der Energie- und Rohstoffpolitik zu achten.
Die Fehler betreffen auch Verfahrensrechte wie das Fehlen von Konsultationen?
Doch, es gibt Konsultationen, aber darin liegt ein anderes Problem. Deren Geist besteht darin, einen Dialog auf Augenhöhe zu führen, unter gleichen Bedingungen und dem vollen Umfang an Informationen für alle Beteiligten. Aber du kannst keine Vereinbarungen im Kontext absolut ungleicher Machtstrukturen schließen. In der Mehrheit der Vereinbarungen versprechen sie uns, Wasser zu spenden, Wochenmärkte aufzubauen und „produktive Projekte“ für die Region zu entwickeln. Wobei wir nie verstehen, welche Art von Projekten das sein sollen, solange das Wasserproblem ungelöst bleibt. Sie spielen mit dem Hunger der Wayuu, mit dem Hunger der Menschen und stellen es so dar, als würden sie die Regeln einhalten. Wenn wir uns die Konsultationen genauer anschauen, dann würden diese sicherlich alle als illegal durchfallen aufgrund der begangenen Irregularitäten.
Welche nächsten Schritte plant ihr?
Wir entwickeln gerade einen Bericht über die Auswirkungen der Windkraftprojekte mit einem speziellen Fokus auf das Leben von Wayuu-Frauen und auf Fragen der Spiritualität. Schon mit Cerrejón hatten wir große Mühen, dass die kulturellen Schäden des Bergbaus anerkannt werden. Das liegt darin begründet, dass diese keine äußere Form haben. Wie sollen wir „nachweisen“, dass ein Schaden am Wind verursacht wurde? Niemand fragt danach, welche Bedeutung der Wind für uns hat. Der Wind ist für uns lebendig, und jeder Wind trägt je nach Region bestimmte Eigenschaften in sich. Aber darüber denkt kein Unternehmen nach und noch viel weniger die Regierung. Sie stellen es so dar, als wären die kulturellen Komponenten eine unwichtige Nebensache. Ich hoffe, dass unsere Regierung andere Formen entwickelt, mit den Gemeinden einen Dialog zu führen. Wenn sie das nicht machen, geht es genau wie mit dem Bergbau weiter. Die Wende ist nicht gerecht, sogar sehr ungerecht. Die Gerechtigkeit steckt nur im Namen.