von Friederike Diaby-Pentzlin und Marian Henn
Die Black Lives Matter-Bewegung hat der Auseinandersetzung mit Rassismus, kolonialen Strukturen und den Auswirkungen der Sklaverei auch in Deutschland Rückenwind gegeben. Auch wir bei FIAN haben angefangen, uns kritisch damit auseinanderzusetzen, wie wir durch Bilder, Sprache und Symboliken (kolonial-)rassistische Narrative reproduzieren. In diesem Zuge sind unter anderem die beliebten Großpuppen von FIAN in die Diskussion geraten. Warum? Einprägsame und bildhafte Stereotypen erleichtern Entscheidungen im Zusammenleben. Gleichzeitig wurzeln die unbewusst im Alltagswissen präsenten Beschreibungen von Personen oder Gruppen oft tief in der Kolonialzeit. Bilder offenbaren unsere unbewussten Prägungen stärker als rational eher kontrollierbare Sprachaussagen. FIAN setzt die Puppen daher vorerst nicht mehr ein.
Seit der Gründung 1986 arbeitet FIAN zu wirtschaftlichen Menschenrechten und damit gegen andauernde Strukturen kolonialer Ausbeutung. Hierbei reagiert FIAN laufend auf Impulse aus dem globalen FIAN-Netzwerk. Bezogen auf „soft facts“ wie Sprache, Bildsprache, Symbolpolitik, aber auch bei der Positionierung gegenüber Konflikten wie Gaza/Israel muss FIAN nachlegen – auch um einer möglichst diversen Mitgliedschaft gerecht zu werden.
Es ist daher wichtig, den Diskurs zum Postkolonialismus mit seinen Begriffen zu verstehen. Kolonialismus ist „eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und durchgesetzt werden.“ (1)
Auch wenn alle Staaten seit den 1960ern ihre formal-politische Souveränität erlangten, wirken koloniale Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse nach. Postkolonialismus thematisiert dieses Fortbestehen von Beziehungsmustern kolonialer Herrschaft. Die Postkoloniale Kritik zeigt auf, wie die koloniale Sicht einen vermeintlich modernen, universellen und normalen Westen konstruiert und solche Sicht bis in die Gegenwart zu Hierarchisierung und Wahrnehmungen von „den anderen“ (othering) führt und damit zu strukturellem Rassismus und rassistischen Weltanschauungen, die blind für weiße Privilegien sind.
Dekoloniale Perspektive auf Menschenrechte
Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Ausbeutungen unserer imperialen Lebensweise wiederum werden seit den 1960ern auch zum Stichwort Neokolonialismus diskutiert. Der Ansatz des Dekolonialismus setzt auf mehreren Ebenen an, um ein Umdenken und einen kritischen Umgang mit den Nachwirkungen des Kolonialismus zu ermöglichen. Die postkoloniale Kritik an den Menschenrechten zeigt, dass das universalistische menschenrechtliche Pathos der demokratischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich nur weißen Männern galt, nicht den Sklav*innen, Frauen und Kolonialisierten. Und auch 1948 verabschiedeten nur 56 UN-Staaten die 30 Artikel der Menschenrechtserklärung – ohne dabei den Kolonialismus als Menschenrechtsverletzung zu markieren. Noch 1957 begrüßte Adenauer die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, da sie Frankreichs Kolonien zollfrei mit einbezog. Dem Globalen Norden wird oft (und zurecht) vorgeworfen, bigott die Menschenrechte bei anderen einzufordern, realisierbare Versprechen jedoch selbst nicht einzulösen.
2022 gründete sich der AK Anti-Ra von FIAN. Hierin diskutiert wurden beispielsweise FIAN-Ausschreibungen für mehr Diversität, praktische Tipps für das Erstellen von Fotos auf Recherchereisen, die Bezahlung von Praktikant*innen, dekoloniale Analysen in der Darstellung von Fallarbeit etc.
Auf der MV 2023 leiteten Larissa und Raphael vom Vorstand eine Übung an, die darauf abzielte, unbewusst genossene Privilegien und hierarchisierende Prägungen bewusst zu machen – eine anspannungsreiche Arbeit, die in hochgehenden Diskussionen mündete. Die MV 2024 griff verschiedene Bezugspunkte zwischen Kolonialismus und FIANs Arbeit auf. Der AK trug den Anspruch des Dekolonialen bei, sich also bewusster vom Kolonialen zu lösen und ihm entgegenzutreten. Dekolonial greift nun weiter und beinhaltet auch Anti-Rassismus, daher jetzt: AK Dekolonial.
(1) Jürgen Osterhammel, 1995: Kolonialismus: Geschichte – Formen – Folgen
Der AK trifft sich jeden zweiten Mittwoch im Monat um 18.30 online. Wir möchten euch einladen, aktiv an dem Prozess teilzunehmen! Außerdem haben wir zusammen mit dem Anti-Rassismus Informations-Centrum (ARIC-NRW e.V.) einen Workshop erarbeitet (wahrscheinlich im Januar in Köln). Zusätzlich soll es online einen Vorbereitungs- und ein Nachbereitungsseminar geben.
Damit möglichst viele beim Vorbereitungsworkshop teilnehmen können, bieten wir hierfür zwei Termine an: 21.11 oder 4. Dezember. Bei Interesse gerne melden unter: info@fian.de