Ein großer Schritt weg vom Frieden
Seit dem Generalstreik am 28. April halten in Kolumbien soziale Proteste unterschiedlicher gesellschaftlicher Sektoren an. Dem Streikaufruf der Gewerkschaften “Für Leben, Frieden, Demokratie und gegen das Reformpaket der Regierung Duque” folgten Menschen in den Städten, indigene und bäuerliche Gemeinschaften, Studierende und viele Jugendliche, deren Zukunftsperspektiven sich durch die Corona Pandemie weiter verschlechtert haben.
Proteste fanden in mehr als der Hälfte der Landkreise Kolumbiens statt. Die Proteste waren und sind weitestgehend friedlich. Es gab auch Akte von Gewalt, die teils von den Protesten ausgingen, teils unabhängig von diesen erfolgten und die die Deutsche Menschenrechtskoordination Kolumbien verurteilt.
Die massiven sozialen Proteste richteten sich zunächst gegen eine geplante Steuerreform, die durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer u.a. auf Grundnahrungsmittel und Treibstoff die armen Bevölkerungsgruppen und die Mittelschicht besonders hart getroffen hätte. Neben dieser – mittlerweile zurückgezogenen – Steuerreform richten sich die Proteste gegen angekündigte Reformen im Bildungs- und Gesundheitssektor, die der breiten Mehrheit weitere Lasten auferlegen würden.
Die Regierung begegnete den Protesten von Anfang an mit einer massiven Polizeipräsenz und dem übermäßigen Einsatz von Gewalt. Ab dem 01. Mai ordnete Präsident Duque außerdem den Einsatz des Militärs in Städten wie z.B. Cali an. Vom 28.04. bis zum 15.05. wurden dokumentiert: bis zu 379 Verschwundene, 48 getötete Demonstrant*innen , ein getöteter Polizist, 87 Fälle von geschlechterbasierter (insbesondere sexualisierter) Gewalt durch Sicherheitskräfte, Verschleppung und 1.460 vielfach willkürliche Verhaftungen.
Bereits im November/Dezember 2019 und September 2020 hatte es einen Generalstreik und Proteste gegen Polizeigewalt gegeben. Auch sie waren mit exzessiver Gewalt der Si-cherheitskräfte beantwortet worden, in deren Folge es Tote und Verletzte gab. Nach den Protesten Ende 2020 und aufgrund von Klagen hatte der Oberste Gerichtshof Kolumbiens festgestellt, dass exzessive Gewalt „systematisch und willkürlich“ eingesetzt wurde und die Exekutive aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um friedlichen Protest zu garantieren und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt einzudämmen.
Angesichts dieser Entwicklung und der Tatsache, dass Deutschland und die EU die Umset-zung des Friedensabkommens mit vielen Programmen unterstützen, halten wir es als Deutsche Menschenrechtskoordination Kolumbien für erforderlich, dass sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene gegenüber der kolumbianischen Regierung zum Ausdruck gebracht wird, dass:
1. sie den unverhältnismäßigen Einsatz von Polizeigewalt gegen Protestierende been-den und das Recht auf friedliche Proteste, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit garantieren muss;
2. friedliche Proteste nicht durch staatliche Institutionen stigmatisiert werden dürfen;
3. die Ermittlung, Aufklärung und Sanktionierung der mutmaßlich begangenen Menschenrechtsverletzungen durch zivile und nicht durch Militärgerichtsbarkeit gewähr-leistet werden muss; sie eine unabhängige Untersuchung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen bei den Protesten durch internationale Menschenrechtsinstitutionen ermöglichen sollte;
4. sie die Umsetzung der im Friedensabkommen beschlossenen Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, der Auflösung paramilitärischer Strukturen und deren ökonomisch-militärischen Verbündeten gewährleisten muss;
sowie die
5. Durchführung partizipativer effektiver sozioökonomischer Entwicklungsprogramme gewährleisten und fördern sollte.
Die Komplette Stellungnahme ist hier als Pdf verfügbar
Kontakt für Rückfragen: kolko e.V., mail@kolko.net