Die Europäische Kommission hat am 12. August Handelspräferenzen für Kambodscha teilweise außer Kraft gesetzt. Betroffen sind hiervon unter anderem zollfreie Importe verschiedener Textilien und Schuhe sowie Zucker. Der Entscheidung zugrunde lag ein Beschluss vom 12. Februar, mit dem die EU-Kommission auf anhaltende schwere Menschenrechtsverletzungen in dem südostasiatischen Land reagierte.
Nach der Ankündigung vor einem halben Jahr hatte die kambodschanische Regierung nochmals die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschenrechtssituation insbesondere bei politischen Rechten, Arbeitsrechte in den Textilindustrien und Landrechten substantiell zu verbessern. Laut aktueller Bewertung der EU geschah dies nicht, weswegen sie auf Basis der Regularien unter der Handelsinitiative „Alles außer Waffen“ (Everything but Arms, EBA) gezwungen war, den Entzug der Handelspräferenzen umzusetzen.
„Die Vergabe von Handelspräferenzen ist im EU-Regelwerk zu EBA zwingend an die Achtung der Menschen- und Arbeitsrechtegekoppelt. Der EU blieb mit dem Verhalten der kambodschanischen Regierung nach jahrelangen Treffen und dokumentierten Repressionen und Menschenrechtsverletzungen keine andere Wahl, als dieses Privileg zurückzuziehen“, so Naly Pilorge, Direktorin der Menschenrechtsorganisation LICADHO. Die Entscheidung betrifft etwa 20 Prozent der kambodschanischen Exporte in die EU. Diese können weiterhin importiert werden, werden nun jedoch mit den allgemein üblichen Zöllen belegt.
Seit neun Jahren haben von Landraub betroffene Gemeinden zusammen mit nationalen und internationalen Organisationen – darunter FIAN – für eine Untersuchung durch die EU auf Basis des Handelsabkommens gekämpft. Diese Erfahrungen haben strukturelle Probleme der EU-Handelsinitiative sichtbar gemacht: Zum einen ist die Hürde für ein Handeln der Europäischen Kommission selbst bei systematischen Menschenrechtsverletzungen derart hoch, dass erst nach vielen Jahren eine Untersuchung eingeleitet wird. „Die Betroffenen in den Gebieten der Zuckerkonzessionen beispielsweise wurden von der EU jahrelang im Regen stehen gelassen“, kritisiert FIAN-Agrarreferent Roman Herre, der wiederholt vor Ort Vertreibungsfälle dokumentiert hat. „Hier wäre eine stärkere Rolle des Europaparlaments, welches mehrfach eine entsprechende Untersuchung gefordert hatte, ein wichtiger Reformschritt, um diese Handelsinitiative menschenrechtssicherer zu machen.“
Zudem ist die Handelsinitiative blind gegenüber eigenen negativen Auswirkungen. Kambodscha hat gezeigt, dass im Fall der Zuckerkonzessionen die Initiative selbst zu substantiellen Menschenrechtsverletzungen beitragen kann, indem sie Investoren große finanzielle Anreize gibt, zu Lasten der Landbevölkerung Zuckerrohrplantagen aufzubauen. „Die EU muss endlich eine menschenrechtliche Folgenabschätzung für solche Handelspolitiken durchführen. Auf diese Weise könnten Menschenrechtsverletzungen schon im Vorfeld identifiziert und abgewendet werden“, so Herre weiter. „Es gibt also auch hier viel zu tun in Sachen Menschenrechte“.
Kontakt: FIAN-Agrarreferent Roman Herre, Tel.: 0221-47449113, Mail: r.herre@fian.de
Aktuelle Pressemeldung der Europäischen Kommission: https://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=2177
FIAN Österreich hat zur Entscheidung der EU-Kommission eine Studie veröffentlicht, welche die Historie der Handelsinitiative EBA mit Fokus auf Landkonflikte im Zuckersektor nachzeichnet: https://fian.at/de/publikationen/bestellen-download/st-2020-8-lik/
Hintergrund
Kambodscha besitzt im Rahmen der „Alles außer Waffen“-Initiative (Everything But Arms/EBA) als eines der 47 ärmsten Länder der Welt zollfreien Zugang zum EU-Markt. Dies löste eine regelrechte Jagd nach Land aus. Internationale Zuckerkonzerne und nationale Eliten sicherten sich Land für riesige Zuckerrohrplantagen – deren Fläche ist seit der Handelsinitiative von praktisch null auf weit über 100.000 Hektar angestiegen.
Seit 2010 haben von Landraub betroffene Gemeinden – unterstützt von FIAN Deutschland und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Kambodscha und Europa – die EU dazu aufgerufen, diese Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Viele Jahre hatte die EU die menschenrechtlichen Probleme ihrer Handelspolitik zurückgewiesen.
Seit 2017 hat sich die Menschenrechtslage in dem südostasiatischen Land weiter massiv verschlechtert. Mit dem Verbot der größten Oppositionspartei des Landes im Jahr vor der Wahl 2018 und der systematischen Unterdrückung von Gewerkschaften, unabhängigen Medien und der Zivilgesellschaft beerdigte Premierminister Hun Sen, der das Land seit 35 Jahren regiert, jeglichen Anschein von Demokratie.
Nach einigen Dialogversuchen leitete die Europäische Kommission vor anderthalb Jahren ein Verfahren zur Überprüfung der menschenrechtlichen Situation ein. Diese versäumte es jedoch, notwendige Schritte durchzuführen, um auch weiterhin uneingeschränkt vom zollfreien Zugang zum EU-Markt zu profitieren. Mit der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 12. Februar 2020 lag das Heft des Handelns erneut bei der kambodschanischen Regierung. Bis zum Inkrafttreten des Präferenzentzugs am 12. August hätte die kambodschanische Regierung noch handeln können, um dies abzuwenden.