Bitterer Schlussstrich unter alte, gebrochene Versprechen.
Köln, den 23. September 2015. Am kommenden Wochenende wird in New York die Vollversammlung der Vereinten Nationen 17 neue Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG’s) beschließen. Ziel 2 der neuen 2030 Agenda verspricht nicht weniger als den Hunger in der Welt in den nächsten 15 Jahren zu besiegen. Die Menschenrechtsorganisation FIAN ist skeptisch angesichts der alten, in diesem Jahr endenden und nicht erreichten Zielvorgaben bei der Hungerbekämpfung.
Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass heute 795 Millionen Menschen an schwerem Hunger leiden. Damit verzeichnet die FAO einen Rückgang um 172 Millionen Hungerleidende seit dem Welternährungsgipfel 1996. Versprochen wurde damals jedoch, die Zahl der Hungernden von 966 Millionen zu halbieren. Rechnet man China raus, in dem die FAO einen Rückgang um 102 Millionen verzeichnet, ist die Zahl der Hungernden seit 1996 um 70 Millionen gesunken. Von den 129 Ländern, zu denen Schätzungen vorliegen, haben 29 das Ziel erreicht. Unter ihnen Länder wie Venezuela, Brasilien, Ghana oder Vietnam. Andere Ländern wie Sambia, Guatemala oder Indien verzeichneten einen Anstieg der Zahl der an schwerem Hunger leidenden Menschen. „Ambitionierte Ziele sind gut, aber man muss angesichts der vergangenen Erfahrungen schon die Glaubwürdigkeit solcher Versprechen hinterfragen“, so Roman Herre, Agrarreferent von FIAN Deutschland.
Besonders schwer wiegt laut FIAN, dass 795 Millionen Menschen schweren Hunger leiden, obwohl der private Wohlstand gewaltig zunimmt. Die Weltwirtschaft ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gewachsen und die weltweiten Privatvermögen sind seit der Jahrtausendwende um 140 Prozent angestiegen. In den Gegenden mit anhaltend hohem Hunger, wie Subsahara-Afrika oder Süd- und Südostasien, lag das Wirtschaftswachstum in den letzten 20 Jahren mit 5,1 und 7,4 Prozent sogar deutlich über dem globalen Durchschnitt. „Hunger ist und bleibt damit besonders eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit“, so Herre. „Leider wird genau diese Frage bei der neuen Zielsetzung ausgeklammert.“
Stattdessen setzt das neue Ziel auf Produktionssteigerung in der Landwirtschaft. Wie viele Nahrungsmittel in einer Region erzeugt werden, spielt jedoch bei der Hungerbekämpfung nur eine untergeordnete Rolle. Ansonsten wäre ein Fall wie Indien kaum zu erklären. Hier lebt fast ein Viertel aller Hungernden und gleichzeitig erzielt das Land große Überschüsse in der Agrarproduktion. „Gerade wenn menschenrechtsbasierte Indikatoren, Zielsetzungen und Überwachungsmechanismen fehlen“, kritisiert Herre „fragen wir uns, wie noch ambitioniertere Versprechen in noch kürzerer Zeit erfüllt werden sollen.“
Kontakt: Roman Herre, Agrarreferent FIAN Deutschland, r.herre(ät)fian.de
Hintergrund:
Auf dem Welternährungsgipfels 1996 beschloss die Staatengemeinschaft, die Zahl der hungernden Menschen bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Später wurde das Ziel durch die Millennium-Entwicklungsziele überlagert und verwässert. Diese versprachen nicht mehr, die absolute Anzahl der Hungernden, sondern nur noch den prozentualen Anteil zu halbieren. Heute steht fest: Beide Ziele wurden nicht erreicht.
Unklar ist zudem, wie die ohnehin schlechte Bilanz heute aussähe, hätte die FAO nicht 2012 eine neue Methodik zur Schätzung der Hungerzahlen eingeführt. Damit wurde die Ausgangssituation in den 90ern sehr viel negativer und die Situation heute sehr viel positiver. Anstatt 850 Millionen schätzt die FAO nun die Zahl der schwer Hungernden im Jahr 1992 auf 1 Milliarde. Für 2009 änderte sich die geschätzte Zahl von 925 Millionen auf 825 Millionen. Da die alte Methodik nicht weitergeführt wurde, können die entsprechenden Zahlen für 2015 nicht verglichen werden.
Weitere Informationen zur neuen Methodik der FAO finden Sie in unseren Fact Sheet Zahlenzauber: Wirklich weniger Hunger in der Welt?