In Südamerika werden viele bäuerliche Gemeinschaften zugunsten riesiger Plantagen von ihrem Land vertrieben. Hinzu kommt der massive Einsatz von Pestiziden, der die lokale Bevölkerung nicht nur gesundheitlich schädigt. Die wirtschaftlichen Interessen der Agrarindustrie und ihr extensiver Pestizideinsatz bedrohen zudem die traditionelle Ernährung vieler südamerikanischer Familien und verletzen ihr Menschenrecht auf Nahrung. Deutsche Unternehmen profitieren von der fehlenden Regulierung im Pestizidhandel.
Kolumbien: Widerstand gegen das „grüne Monster“
Das Cauca-Tal in Kolumbien ist eines der Zentren der Zuckerrohrindustrie. Das fruchtbare Caucal-Tal an Kolumbien Pazifikküste ist traditionell eine landwirtschaftliche geprägte Region. Obst-, Gemüse- und Kakaoplantagen bildeten die Grundlage für die Ernährungssouveränität der Bevölkerung. Mitte des 20. Jahrhunderts begann jedoch die Ausweitung des Zuckerrohranbaus, insbesondere für den Export in die USA. Auf den Flächen rund um den gleichnamigen Cauca-Fluss werden inzwischen über 200.000 Hektar angebaut. Ein großer Teil der Ernte wird exportiert und zur Biosprit-Gewinnung genutzt. Viele bäuerliche Gemeinschaften der Region wurden durch die Expansion der Monokulturen vertrieben. Die verbliebenen Gemeinden liegen wie kleine Inseln in einem Meer aus Zuckerrohr. Sie versuchen ihre traditionellen Ernährungsgrundlagen wiederherzustellen. Allerdings wird diese Praxis durch das Sprühen von Pestiziden bedroht.
„Sie sprühen mit Flugzeugen. Wenn es windig ist, kommen die Pestizide zu uns. Dann vertrocknen unsere Pflanzen“ (kolumbianischer Kleinbauer)
Doppelstandards
Alleine in Südamerika hat sich die Verwendung von sogenannten „Pflanzenschutzmitteln“ in den letzten 30 Jahren verfünffacht. Zahlreiche Pestizide, die in der lateinamerikanischen Landwirtschaft zum Einsatz kommen, sind in der Europäischen Union wegen ihren gesundheits- und umweltschädlichen Auswirkungen dabei gar nicht zugelassen. Trotzdem werden sie weiterhin exportiert. Insgesamt 28 in der Europäischen Union verbotene Stoffe wurden vergangenes Jahr aus Deutschland exportiert. Die Menge gemessen am Wirkstoffnettogewicht hat sich 2022 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Die bei uns beheimateten Konzerne Bayer und BASF verkaufen auf dem Subkontinent jeweils mindestens zwölf Wirkstoffe ohne EU-Genehmigung.
Weltweit kommt es Schätzungen zufolge jährlich zu rund 385 Millionen Vergiftungen und etwa 11.000 Toten durch Pestizide. Dabei ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da viele Staaten keinen Mechanismus haben der die Meldung solcher Pestizidvergiftungsfälle vorschreibt. Der Großteil der Betroffenen sind in der Landwirtschaft beschäftigte Menschen im globalen Süden. Auch Dr. Marcos Orellana, UN Sonderberichterstatter für Giftstoffe und Menschenrechte, fordert Konsequenzen: „Ländliche Gemeinden zahlen den Preis für die Vergiftung unseres Planeten. Dies führt zu inakzeptablen Menschenrechtsverletzungen. Es wird deutlich, dass die bestehenden Instrumente versagen und dass doppelte Standards zu Diskriminierung führen. Wir brauchen grundsätzliche Veränderungen.“
Agrargifte stützen industrielle Ernährungssysteme
Die Agrarfirmen behaupten, dass der Einsatz von Pestiziden für die Hungerbekämpfung notwendig sei. Dabei ist das Gegenteil der Fall: In den großen Monokulturen werden vor allem Zuckerrohr und Soja angebaut – also Pflanzen, die als Biosprit oder Tierfutter verwendet werden. Der Anbau von Obst und Gemüse hingegen wird durch die Plantagen verdrängt. Etliche traditionelle Arten sind bereits verloren gegangen und auch ihre Tiere sterben an Vergiftungen. Dadurch steigt die Zahl der Hungernden vor Ort. Auf einer Recherchereise in Brasilien hat FIAN indigene Familien des Volks der Guarani Kaiowa getroffen, die durch die Anlage von Zuckerrohrplantagen vertrieben wurden. Nun fehlt ihnen der Zugang zu Land, um sich selbst zu ernähren. Zudem sind sie durch den Pestizideinsatz gesundheitlich stark belastet.
»Eine Tante von mir ist an den Giften gestorben. Viele Kinder wurden krank. Auch unsere Tiere sind gestorben« (Damiana, Bewohnerin der Gemeinde Apikái)
Offiziellen Angaben zufolge finden sich in jeder vierten Gemeinde Brasiliens Rückstände von mehreren Pestiziden im Trinkwasser.
Doppelstandards beenden!
Wir stehen an der Seite der Betroffenen und setzen uns in Deutschland für ein Ende der doppelten Standards ein. Gemeinsam mit 274 Menschenrechts-, Kleinbauern- und Umweltorganisationen aus dem Globalen Süden haben wir einen Brief an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir geschickt. Zusammen mit Partnern aus Lateinamerika haben wir Gespräche im Bundestag und im Auswärtigen Amt geführt. Mit Erfolg: Die Bundesregierung plant noch für dieses Jahr eine neue Verordnung zum Exportverbot von Pestiziden. Doch auch darin finden Großkonzerne wie Bayer, BASF oder Syngenta Schlupflöcher, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Neue Verordnungen reichen nicht weit genug!
Zum einen wird bei der Verordnung lediglich der Export von fertigen Pflanzenschutz-Produkten verhindert, in denen die gesundheitsschädlichen Substanzen enthalten sind. Die giftigen Grundsubstanzen selbst kann demnach weiter exportiert werden. Dabei profitieren deutsche Unternehmen gerade vom Handel mit gefährlichen Pestizidwirkstoffen – die Exportmenge von reinen Pestizidwirkstoffen aus Deutschland übersteigt längst die Exportmenge von verbotenen Wirkstoffen, die in Pestizidprodukten enthalten sind.
Zudem soll der der Export von hochgiftigen umweltschädlichen Stoffen überhaupt nicht verboten werden – egal ob als Grundsubstanz oder in Form von fertigen Produkten. Diese Leerstelle ignoriert die Bedeutung einer sauberen und intakten Umwelt für die Verwirklichung einer Vielzahl von Menschenrechten, wie sie Ende Juli 2022 von der UN-Generalversammlung anerkannt wurde.
FIAN fordert daher ein Export-Verbot von allen Pestiziden und Pestizidwirkstoffen aus Deutschland, die aufgrund ihres Gefahrenpotentials für Menschen und Umwelt in der EU nicht genehmigt sind.
FIAN fordert darüber hinaus ein verbindliches Bekenntnis zu agrarökologischen Alternativen. Solche Alternativen würden die negativen Folgen wie etwa durch Pestizidvergiftungen drastisch reduzieren und das Menschenrecht auf Nahrung nachhaltig stärken.
Dank Ihrer Hilfe können wir die Menschen vor Ort unterstützen, sich für ihre Rechte auf Nahrung und Gesundheit einzusetzen.
So stärken Sie das Recht auf Nahrung weiter:
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