von Rolf Künnemann
Menschenrechte müssen im internationalen Recht und in nationalen Verfassungen immer besser verankert werden. Zudem muss bereits geltendes Recht zugunsten derjenigen, die von Verletzungen betroffen sind, interpretiert werden. Hierzu gehört, dass auch Menschenrechte von Personen und Gruppen, die es noch gar nicht gibt (aber geben wird), schon heute wirksam sein können.
Es gehört zu den Aufgaben von FIAN, zu neuen Rechtsinstrumenten und Interpretationsdokumenten beizutragen. So ist das Protokoll zur Individualbeschwerde bei Verletzungen des UN-Sozialpaktes, welches 2013 in Kraft trat und Ende 2022 von Deutschland endlich ratifiziert wurde, eines der Beispiele für neue Rechtsinstrumente, die unter tatkräftiger Mithilfe von FIAN entstanden sind.
Die von FIAN mitinitiierten Maastrichter Prinzipien über die Extraterritorialen Staatenpflichten (2011) sind demgegenüber ein Interpretationsdokument. Das FoodFirst-Magazin hat in früheren Ausgaben über diese Prinzipien berichtet, vor allem im Zusammenhang der Kampagne zur Regulierung transnationaler Konzerne. Solche Expertendokumente sind wichtig – nicht nur für die Interpretation geltenden Rechts. Sie bereiten auch den Weg für dringend benötigtes neues Recht.
Personen, die es heute noch nicht gibt, sind in 40 Jahren in der Mehrheit
Im Sommer 2017 begann die Universität Maastricht die Vorbereitungen für ein weiteres Expertendokument. Wieder war FIAN International von Anfang an in der Steuerungsgruppe maßgeblich vertreten – zunächst durch Generalsekretärin Sofía Monsalve, später durch Ana Maria Suarez Franco, die permanente FIAN-Vertreterin in Genf. Auch der Autor war als Berater Teil der Steuerungsgruppe. Die neuen Prinzipien sollten sich auf einen bislang unterentwickelten Bereich der Menschenrechte beziehen, die Rechte künftiger Personen, Gruppen und Völker – im allgemeinen Sprachgebrauch die „künftigen Generationen“. Sie werden im momentan (noch) herrschenden Recht als Rechtlose behandelt (siehe Artikel „Die Menschenrechte künftiger Generationen“ in FoodFirst 2021/3, S. 14-15). In den letzten Jahren begann sich das Blatt jedoch angesichts der tödlichen Risiken, die vielen dieser Gruppen – und der Spezies Mensch insgesamt – durch das gegenwärtige politische und rechtliche Versagen aufgebürdet werden, zu wenden.
Die neue Maastrichter Initiative führte umfangreiche Konsultationen mit Expert*innen, Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen durch. Es zeigte sich, dass es im internationalen Recht gute Quellen gibt, aus denen sich Prinzipien über die Menschenrechte künftiger Generationen herleiten lassen. Im Frühjahr 2022 lag ein erster Entwurf für diese Prinzipien vor. Weitere Entwürfe folgten. Die Maastrichter Prinzipien über die Menschenrechte künftiger Generationen wurden schließlich nach einem mehrtägigen Expertentreffen an der Universität Maastricht am 3. Februar 2023 angenommen. Ein umfangreicher Kommentar ist in Arbeit.
Es geht um Menschenrechte
Inzwischen haben sich für die neuen Maastrichter Prinzipien Anwendungsmöglichkeiten ergeben, an die zu Beginn der Arbeit 2017 noch niemand gedacht hat: UN-Generalsekretär António Guterres z.B. bereitet aktuell einen „Zukunftsgipfel“ vor. Darin soll es auch um eine politische Erklärung zu den Pflichten gegenüber künftigen Generationen gehen. Guterres denkt an ein zwischenstaatliches Gremium, das die Umsetzung der Pflichten überwachen soll, sowie an einen „Gesandten künftiger Generationen“, der für diese sprechen soll. Ein klarer Menschenrechtsbezug fehlt bislang. Die neuen Maastrichter Prinzipien werden hier sehr konkret: Ein Viertel der 36 neuen Maastrichter Prinzipien behandelt die Einklagbarkeit dieser Menschenrechte durch Vertreter*innen der Opfer sowie mit einer effektiven rechtlichen Abhilfe. Und die Hälfte des zwanzigseitigen Maastrichter Dokuments befasst sich mit den Staatenpflichten, die mit den Menschenrechten künftiger Generationen gegeben sind.
Die UN Vollversammlung hat sich kürzlich mit der Bitte um Stellungnahme zu den Rechten künftiger Generationen an den Internationalen Gerichtshof gewandt, ausgehend von einer Initiative des Inselstaats Vanuatu. Der Gerichtshof wird die einzelnen Staaten – auch Deutschland – um Stellungnahmen bitten, bevor er seine „advisory opinion“ abgibt. Hier wäre es nötig, die Maastrichter Prinzipien in Deutschland zur Geltung zu bringen. In beiden genannten Prozessen sollte FIAN besonders auf seinen eigenen Auftrag hinzielen für Menschen der Zukunft: Auf viele der Gruppen, deren Menschenrecht auf Nahrung FIAN seit Jahrzehnten verteidigt, wird in den neuen Prinzipien ausdrücklich Bezug genommen.
Dr. Rolf Künnemann ist Mitgründer und langjähriger Human Rights Director von FIAN International