Im Februar veröffentlichte FIAN Deutschland die Studie „Mikrokredite und Überschuldungskrise in Kambodscha“, welche die menschenrechtlichen Folgen von Überschuldung sowie die Verantwortung europäischer und deutscher Investoren, darunter Oikocredit, darstellt. Oikocredit reagierte auf die Veröffentlichung der Studie mit einer Stellungnahme, die deutlich macht, dass die vorgebrachte Kritik noch immer nicht ernst genommen wird.
Kambodscha ist seit einigen Jahren von einer Mikrokredit-Überschuldungskrise betroffen. Durch die Covid-Pandemie hat sich die Krise nochmals deutlich verschärft. Diverse Untersuchungen von kambodschanischen Menschenrechtsorganisationen sowie wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Überschuldung mitunter zu erzwungenen Landverkäufen oder Schuldknechtschaft führt.
Europäische und deutsche Entwicklungsbanken sowie privatwirtschaftliche Mikrofinanzinvestoren sind mit mehreren hundert Millionen Euro maßgeblich an der Finanzierung marktführender Kreditinstitute in Kambodscha beteiligt und somit mitverantwortlich für diese Probleme. Neben den staatlichen Entwicklungsbanken sind es vor allem sogenannte „ethische Mikrofinanzinvestoren“, die in Kambodschas Mikrofinanzsektor investieren. Oikocredit ist mit 51 Millionen Euro ausstehender Kredite an kambodschanische Mikrofinanzinstitute (MFI) einer der größten solcher ethischen Investoren, die dort Kapital von deutschen Anleger*innen investieren (Stand September 2021). FIAN steht seit dem Mai 2020 hierzu mit Oikocredit Deutschland im Austausch und hat Oikocredit wiederholt auf die unzureichende Reaktion auf die Vorwürfe von mangelndem Kund*innenschutz und Menschenrechtsverletzungen im Kontext ihrer Investitionen hingewiesen.
Berichte werden ignoriert
Als Reaktion auf die FIAN-Studie veröffentlichte Oikocredit Deutschland am 25.02.2022 eine Stellungnahme, in der es heißt, Oikocredit habe bei ihren „Partnerorganisationen keine erzwungenen Landverkäufe von Kund*innen festgestellt, weder vor noch während der aktuellen Coronavirus-Krise“. Weiter heißt es, dass die Oikocredit-Partner „im Falle eines Kreditausfalls ihren Mikrofinanzkundinnen und Kunden gegenüber strenge Kundenschutzprinzipien einhalten und bspw. Kredite umstrukturieren oder Rückzahlungsbedingungen anpassen.“
Oikocredit scheint dabei die Fälle von erzwungenen Landverkäufen und weiteren inakzeptablen Verstößen gegen Kundenschutzprinzipien durch Oikocredit-Partner in Kambodscha zu ignorieren, welche durch kambodschanische Menschenrechtsorganisationen und unabhängige Medien identifiziert und publiziert wurden:
- Im Bericht „Collateral Damage“ (S.6) der Menschenrechtsorganisationen LICADHO und STT vom August 2019 beispielsweise wird der Fall eines erzwungenen Landverkaufs eines Kunden der MFI Hattha Keksekar Ltd. (HKL) dargestellt sowie ein Interview mit einem betroffenen Kreditnehmer dazu veröffentlicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wurde HKL als Oikocredit-Partner gelistet (Anfang 2022 wurde HKL als Partner von der Oikocredit Webseite entfernt).
- Die Australian Broadcasting Corporation (ABC) berichtete im August 2019 vom Schicksal einer Frau, die beim Kreditinstitut Thaneakea Phum verschuldet war (Thaneakea Phum wurde später in LOLC unbenannt und ist seit 2010 Oikocredit-Partner). Die Frau berichtete der ABC, dass die Mitarbeiter der MFI ihr drohten, ihr Haus und Land zu verkaufen, nachdem sie ihren Landtitel für einen 1.500 US-Dollar Kredit als Sicherheit hinterlegen musste. Um den Verlust ihres Landes abzuwenden und den Mikrokredit zurückzahlen zu können, begab sich die Frau samt ihrer Familie schließlich in Schuldknechtschaft in eine Ziegelei – einer modernen Form der Sklaverei –, in der auch ihre minderjährigen Kinder mitarbeiten mussten. Ihre 10-jährige Tochter verlor bei einem Arbeitsunfall in der Ziegelei ihren Arm.
- In einem Artikel der US-Medienplattform Radio Free Asia vom Mai 2020 wird ein Kreditnehmer der MFI Amret zitiert, der angab, dass er zum Verkauf eines halben Hektars Land gezwungen wurde. Darüber hinaus drohten ihm Amret-Mitarbeiter, auch sein Haus zu konfiszieren, wenn er sein Darlehen nicht rechtzeitig zurückzahlt. Amret ist seit 2004 Oikocredit-Partner und wird aktuell mit 31 Millionen US-Dollar finanziert.
- Im gleichen Artikel wird ein anderer Kreditnehmer von LOLC zitiert, der angab, dass er so hoch verschuldet sei, dass er kaum genug zu essen habe. Er bat die LOLC-Mitarbeiter eindringlich um Zahlungsaufschub, doch vergeblich – diese forderten ihn auf, zu verkaufen was er könne, um die Rückzahlung des Kredits sicherzustellen.
- Die unabhängige Nachrichtenwebseite Voice of Democracy berichtete von einer überschuldeten Frau, die bei Amret einen Kredit aufgenommen hatte und bereits Hühner, Schweine und Kühe verkaufen musste, um die Rückzahlungen leisten zu können – und weiter fürchtet, dass Amret auch ihr Land konfiszieren könnte.
- Und das japanische Nachrichtenmagazin Nikkei Asia sprach mit einer 47-jährigen Analphabetin, die von LOLC-Mitarbeitern gedrängt wurde, Dokumente zu unterschreiben, die sie nicht verstand und dann bei Rückzahlungsschwierigkeiten von fünf männlichen Mitarbeitern eingeschüchtert wurde. Die Frau gab an, dass sie sich wohlmöglich vor ihren Gläubigern verstecken oder ins benachbarte Thailand emigrieren müsse.
Angesichts solcher Berichte ist unklar, wie Oikocredit weiterhin behaupten kann, nichts von missbräuchlichen Praktiken durch ihre Partner in Kambodscha zu wissen. Oikocredit muss solchen Vorwürfen nachgehen und darf nicht darauf warten, dass sich die Oikocredit-Partner selbst anzeigen und Fälle von Kund*innenschutzverletzungen bereitwillig zugeben. In Kambodscha mangelt es an entsprechenden Gesetzen und unabhängigen, funktionierenden Überwachungs- und Beschwerdestellen, durch welche Mikrokreditnehmer*innen effektiv geschützt werden könnten. Mathias Pfeifer, Südostasien-Referent von FIAN: „Auch wenn Oikocredit nun behaupten sollte, dass es sich dabei nur um Einzelfälle oder „schwarze Schafe“ handelt, so muss sich Oikokredit dennoch bemühen, für Aufklärung und Wiedergutmachung zu sorgen. Es gibt zudem viele Hinweise, dass die Probleme in Kambodschas Mikrofinanzsektor systematischer Natur sind. Eine umfassende und unabhängige Prüfung der menschenrechtlichen Folgen von Mikrofinanzierung und Überschuldung durch die Geber ist längst überfällig“.
Land als Sicherheit für Mikrokredite
Auch andere Aussagen in der Oikocredit Stellungnahme sind nur schwerlich nachvollziehbar. So heißt es etwa: „Mikrofinanzinstitutionen, die Oikocredit in Kambodscha finanziert, setzen ausschließlich für großvolumige Kredite an Firmenkunden, also KMU (kleinere und mittlere Unternehmen), auf Land als Sicherheit.“ Auf der Oikocredit Webseite lassen sich keine Informationen finden, wie Oikocredit „großvolumige Kredite“, „Firmenkunden“ oder „kleinere und mittlere Unternehmen“ genau definiert. Es ist aber weithin bekannt, dass in Kambodscha für Mikrokredite ab einer Höhe von rund 1.500 US-Dollar zumeist Land als Sicherheit verlangt wird (die durchschnittliche Mikrokredithöhe in Kambodscha beträgt 4.280 US-Dollar – die höchste weltweit). So gibt beispielsweise die MFI Prasac (Oikocredit-Partner seit 2005) auf ihrer Webseite an, dass Mikrokredite bis 1.500 US-Dollar ohne Sicherheiten vergeben werden. Oikocredit behauptet nun, dass ihre Partner wie Prasac ausschließlich bei Firmenkunden Land als Sicherheit verlangen. Kann man beispielsweise einen Fabrikarbeiter, der 1.500 US-Dollar bei Prasac aufgenommen hat, um sich ein Motorrad zu kaufen und dafür das Haus seiner Eltern als Sicherheit nutzen muss, tatsächlich als „Firmenkunden“ bezeichnen?
Oikokredit lehnt direkten Dialog mit Menschenrechtsorganisationen ab
„Unsere Mitarbeitenden in Südostasien, einschließlich unserer Kolleg*innen in Kambodscha, wurden bisher nicht von lokalen Menschenrechtsorganisationen kontaktiert“, behauptet Oikocredit schließlich in der Stellungnahme. Dabei hat FIAN im November 2021 und im Januar 2022 Oikocredit Deutschland das Angebot gemacht, einen Austausch mit lokalen Menschenrechtsorganisationen zu organisieren. Von Oikocredit hieß es daraufhin, dass man dies „in Erwägung“ ziehe. Fragen nach konkreten Terminen für einen solchen Austausch wurden jedoch nicht beantwortet. Im März wendete sich FIAN gemeinsam mit lokalen Menschenrechtsorganisationen an die Oikocredit-Zentrale in den Niederlanden und machte nochmals ein Gesprächsangebot. Oikocredit antwortete daraufhin, dass sie nur bereit wären, sich mit den Menschenrechtsorganisationen an einen Tisch zu setzen, wenn dazu auch Vertreter*innen der MFI, der mächtigen Mikrofinanzlobbygruppe Cambodian Microfinance Association (CMA), der kambodschanischen Behörden (Nationalbank), des Kreditbüros und weitere Investoren an dem Austausch teilnehmen.
„In einem Kontext wie Kambodscha und angesichts der Tatsache, dass die kambodschanische Regierung, die CMA (bei der mehrere Oikcredit-Partner im Vorstand vertreten sind) und führende Mikrofinanzanbieter Kambodschas bereits die Kritik der Menschenrechtsorganisationen als „fake“, „haltlos“ und „falsch“ abgetan und mit Drohungen und Einschüchterung reagiert haben, ist dieser Vorschlag nicht angemessen“ so Mathias Pfeifer von FIAN. Die Zivilgesellschaft in Kambodscha steht unter enormen Druck. Menschenrechtsaktivist*innen werden immer wieder Repressalien ausgesetzt. So wurden im Mai 2020 sechs Jugendaktivist*innen bei einem friedlichen Protest gegen die Überschuldungskrise vor einer Filiale des Oikocredit-Partners Prasac (sowie einer anderen MFI) grundlos von der Polizei verhaftet. In einem Oikocredit-Bericht heißt es, dass man sich für eine „bessere, eine gerechtere Welt einsetzt“ und den Auftrag habe, “verantwortlich zu investieren und andere dazu aufzufordern, dies auch zu tun.“ Mit Blick auf die Investitionen in Kambodscha ist Oikocredit aufgefordert, endlich Verantwortung zu übernehmen und ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.
Die Studie Mikrokredite und Überschuldungskrise in Kambodscha kann hier abgerufen werden