Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem neuen FoodFirst, dem FIAN-Mitgliedermagazin. Er wurde von Marian Henn und Barbara Lehmann-Detscher geschrieben. Sie sind neugierig auf weitere spannende Artikel geworden? Das FoodFirst-Magazin können Sie hier abonnieren. Oder sichern Sie sich ein kostenloses Probeexemplar in gedruckter Form. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an info@fian.de.
Zum Selbstverständnis von FIAN Deutschland gehört es, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und Betroffene langfristig zu unterstützen. Weniger bekannt ist, dass sich FIAN auch auf dem Gebiet der Menschenrechtsbildung (MRB) etabliert hat. Ein Reflexionsversuch.
Die UNESCO-Erklärung zur internationalen Erziehung von 1974 gilt als Grundlagendokument der internationalen MRB. Sie fördert die Rolle der Bildung als „wirksame Gegenkraft“ im Kampf gegen globale Ungleichheit. Dabei adressiert sie die Gesellschaften im Globalen Norden und im Globalen Süden gleichermaßen. Schrittweise wurden von da an Ansätze entwickelt, die politische Bildung, Menschenrechtserziehung und Umweltbildung mit einer globalen Perspektive verbinden und heute unter den Schlagworten Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), Global Citizenship Education oder Transformatives Lernen diskutiert werden. Sie liefern wichtige Referenzen für den Aufbau der MRB bei FIAN. Zugleich sehen wir die strukturelle Dominanz der bürgerlichen gegenüber den sozialen Menschenrechten auch im Feld der MRB häufig reproduziert. Bei BNE fehlt zuweilen eine klare menschenrechtliche Ausrichtung – eine Kritik, die den Nachhaltigkeitszielen insgesamt inhärent ist. Unsere Material- und Konzeptentwicklung ist ein Versuch, diese Leerstellen auszufüllen und ein fortwährender Lernprozess.
„Aber was haben Menschenrechte mit mir zu tun?“
In der Bildungspraxis erleben wir häufig, dass die Menschenrechte als theoretisches und abstraktes Konstrukt wahrgenommen werden. Dies liegt auch darin begründet, dass wir Menschenrechte in unserem Alltag so selbstverständlich nutzen, dass wir häufig nicht mehr wahrnehmen, dass wir sie haben. Wir werden erst auf sie aufmerksam, wenn wir uns vorstellen, auf Pressefreiheit oder den Besuch bei der Hausärztin verzichten zu müssen. Insbesondere über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte als Ergebnis historisch-kollektiver Kämpfe besteht wenig Bewusstsein. Vor diesem Hintergrund versuchen wir, bei der MRB immer zuerst an den Lebenswelten der Teilnehmenden anzusetzen. Im nächsten Schritt ermöglichen wir das spielerische Sich-Hineinversetzen in Menschenrechtsverletzungen und die zugrundeliegenden Ursachen. Interaktive Methoden wie Plan- und Rollenspiele, in der wir die komplexen Akteurs-Konstellationen unserer Fallarbeit vermitteln, sind hierbei unser Ansatz.
„In Deutschland gibt es keine Menschenrechtsverletzungen“
Oft werden Menschenrechtsverletzungen als exklusives Problem der Gesellschaften im Globalen Süden verklärt. Diese Sichtweise ist nicht nur problematisch, weil sie im Kern einem kolonialen Überlegenheitsdenken entspringt, sie verschließt auch die Augen vor Realitäten wie Wohnungslosigkeit, Unterernährung oder rassistischer Ausgrenzung. Eine „menschenrechtliche Brille“ kann verdeutlichen, dass beispielsweise Wasser, Wohnraum und gesunde Ernährung allen zustehende Gemeingüter sind. Gleichzeitig ignoriert das verbreitete Bild von Deutschland als „Hüterin der Menschenrechte“, dass viele der Verantwortungen für Rechtsverstöße im Globalen Süden bei uns im Globalen Norden liegen. Unsere Bildungsarbeit ist dahingehend auch ein Versuch, das Verständnis für den extraterritorialen Geltungsbereich der Menschenrechte in die Menschenrechtsbildung zu übersetzen.
„Es bringt doch sowieso nichts, sich für Menschenrechte einzusetzen“
Doch gerade die Offenlegung von Machtasymmetrien kann erfahrungsgemäß nicht-intendierte Gefühle der Handlungsunfähigkeit hervorrufen. Es ist herausfordernd in der Bildungsarbeit mit Aussagen umzugehen wie „die Politik macht doch sowieso, was sie will“ oder „ich kann daran nichts ändern“. Zum einen sollten wir aufzeigen, dass die Verhältnisse durch Zuschauen und Abwenden mit Sicherheit nicht besser werden. Zum anderen wollen wir die Geschichten von mutigen Menschen erzählen, die die Welt durch ihr Engagement verändert haben. So rückt in unserer Arbeit die Frage nach Vorkämpfer*innen und der Erarbeitung von eigenen oder kollektiven Handlungsoptionen immer mehr in den Vordergrund. Wir möchten methodische Ansätze schaffen, die das nötige Rüstzeug für die aktive Mit- und Umgestaltung unserer Welt vermitteln. MRB als Menschenrecht ernst zu nehmen, bedeutet nicht zuletzt, dass unsere Angebote möglichst barrierearm, partizipativ und inklusiv gestaltet sein sollten.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]