Mehr als zwei Jahrzehnte nachdem der Interamerikanische Gerichtshof den Staat Paraguay wegen der Verletzung der Rechte indigener Völker verurteilt hat, wurden Fortschritte bei der Durchsetzung des Urteils erzielt. FIAN begleitet den Fall der Sawhoyamaxa seit über zehn Jahren.
Während der Stroessner-Diktatur (1954 bis 1989) erreichte der Landraub in Paraguay einen traurigen Höhepunkt. Die Gemeinschaft der Sawhoyamaxa wurde beispielsweise von dem deutschen Grundbesitzer Heribert Rödel verdrängt. Anfang der 1990er Jahre begann sie, den Kampf um das Land ihrer Vorfahren aufzunehmen. 2006 gab ihnen der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) Recht und verurteilte Paraguay dazu, das Land an die Indigenen zurück zu geben. Trotz mehrerer Verwarnungen durch den IAGMR hat der Staat Paraguay das Urteil bis heute nicht vollzogen.
Paraguay kommt Umsetzung des Urteils zögerlich nach
Am 6. Mai 2019 überwies die Regierung eine erste Rate von einer halben Million US-Dollar der im Urteil angeordneten Entschädigungen an die indigenen Gemeinschaften Xákmok Kásek und Yakye Axa. Die Sawhoyamaxa sollen voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte erste Zahlungen erhalten. Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen laut der Menschenrechtsorganisation Tierraviva insgesamt rund drei Millionen US-Dollar mittels mehrerer Entwicklungsfonds ausgezahlt werden. Bereits 2013 war eine knappe halbe Million Dollar für die Gemeinschaften der Sawhoyamaxa und Yakye Axa ausgezahlt worden, jedoch von führenden Mitarbeiter*innen des staatlichen Indigenen-Institutes sowie der Organisation Reforeast Par veruntreut worden.
Im Fall Sawhoyamaxa leistet Paraguay die im Urteil angeordneten Zahlungen erst nach mehrmaligen Ermahnungen des IAGMR. Die Enteignung der unrechtmäßigen Besitzer geschah 2014 mit sechsjähriger Verspätung. Drei weitere Jahre dauerte es, bis das private Sicherheitspersonal die Ländereien verließ. Alleine bis 2009 kam es laut des IAGMR aufgrund der unterlassenen Umsetzung des Urteils durch den Staat Paraguay zu mindestens 21 Todesfällen innerhalb der Gemeinschaft Sawhoyamaxa (siehe IAGMR-Resolution von 2009).
Teile des Landes noch immer in unrechtmäßigem Besitz
Noch ausstehend im Fall der Sawhoyamaxa sind die Ausgabe kollektiver Landtitel sowie die Ausstellung gültiger Ausweisdokumente. Ebenso fällig bleibt die Rückgabe von weiteren dreitausend Hektar an die Xákmok Kásek. Um dies zu verzögern, hat der bisherige Privatbesitzer die Flächen als Naturreservat registriert, was ebenfalls vom IAGMR kritisiert wurde. Das Recht auf Nahrung ist zudem gefährdet, da die Gemeinden in extrem prekären Umständen ohne fließendes Wasser und Anschluss an das Strom- oder Transportnetz leben.
In seinem Urteil fordert der IAGMR die Einrichtung eines wirksamen Mechanismus zum Schutz von indigenem Land im paraguayischen Rechtssystem. Dies kommt einer grundlegenden Kritik an einem Staat gleich, der koloniale Kontinuitäten in Form unrechtlicher Eigentumstitel von Großgrundbesitzern bis heute wahrt. Die Aufforderung zur Dekolonialisierung des Landrechts wird jedoch von der Regierung beständig ignoriert. Nichtsdestotrotz bedeuten die rechtliche Anerkennung der Forderungen der indigenen Gemeinschaften und die teilweise Umsetzung des Urteils einen Fortschritt im Kampf um die Wiederaneignung von indigenem Land zugunsten einer selbstbestimmten Nahrungsproduktion.
Aktivitäten der FIAN-Lokalgruppe Hamburg
Vor fast 15 Jahren traf die Hamburger FIAN-Gruppe zum ersten Mal auf die indigene Gemeinschaft der Sawhoyamaxa, Angehörige des Volkes der Enxet, in Paraguay. Die Hamburger nahmen damit 2005/06 einen Vorschlag von Rolf Künnemann von FIAN International auf. Einige der damaligen Mitglieder hatten in Ländern Lateinamerikas gelebt und verfügten über gute Sprachkenntnisse. Als Grundlage erhielt die Gruppe ein umfangreiches Paket mit den von FIAN International unternommenen Aktionen, Fact-Sheets, Berichten von Besucher/innen, Fact Finding Missionen sowie ein über 100 Seiten umfassendes Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
Eine enge Zusammenarbeit mit der paraguayischen Menschenrechtsorganisation „Tierra Viva“ (Lebendige Erde) begann. Tierra Viva begleitet die Sawhoyamaxa bis heute. Die Hamburger erhielten von deren Mitarbeiter/innen bereitwillig die erbetenen Informationen. Tierra Viva sandte Fotos und Berichte von der damaligen Lage der Indigenen zu: diese kampierten am Rand der stark befahrenen Nationalstrasse 5 zwischen Pozo Colorado und Concepción im paraguayischen Chaco, einer semiariden Savanne im Westen des Landes.
Südlich der Strasse liegt das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Gemeinschaft, das ihnen während der Regierungszeit des Diktators Alfredo Stroessner abgenommen und an den deutschen Investor Roedel veräußert wurde. Einer der Söhne Roedels, Heriberto, verscherbelte „Farmland“, das es nicht immer auch wirklich gab, an deutsche Käufer, wurde von Betrogenen angezeigt, bei einem Besuch in Deutschland festgenommen, verurteilt und saß einige Jahre im Gefängnis.
Auf einer privaten Südamerika-Reise eines Mitglieds der Hamburger Gruppe konnten in Begleitung von Mitarbeitern von Tierra Viva das Lager am Straßenrand besucht sowie Gespräche mit Frauen und Männern geführt werden. Die Frauen befürworteten eine möglichst umgehende Beendigung des äußerst prekären Lagerlebens und die Besetzung ihres traditionellen Landes, was auch tatsächlich geschah. Die Männer optierten mehr für den formalen Weg der Zuweisung durch den Staat.
Auf Grund des internationalen Drucks – auch seitens von FIAN – bewegten sich paraguayische Justiz und Politik: Die indigene Gemeinschaft erhielt ihr Land auch formal zurück, Roedel legte zwei Verfassungsbeschwerden ein, wurde aber abgewiesen. Die Sawhoyamaxa leben heute auf ihrem Land, bearbeiten ihre Felder, bauen ihre Häuser wieder auf.
Die Lokalgruppe FIAN Hamburg hat durch viele Besuche und Veranstaltungen, Gespräche
mit Politiker/innen in Berlin, Kontakte mit Parlamentariern und Ministerien in Paraguay und enge Zusammenarbeit mit FIAN International und FIAN Deutschland e.V. zur erfolgreichen Entwicklung des „Falles Sawhoyamaxa“ beigetragen.
>>> FIAN-Arbeit zum Fall Sawhoyamaxa
>>> FIAN-Studie „Das Recht auf Nahrung indigener Gemeinschaften in Lateinamerika“