Etwa ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Sierra Leone ist an industrielle Agrarunternehmen verpachtet, die Biokraftstoffe aus Pflanzen wie Zuckerrohr herstellen. Solche Projekte geben vor, dem Klimaschutz zu dienen. Allerdings zeigt das „Makeni-Projekt“, dass sie das Recht auf Nahrung von Kleinbäuer*innen und ländlichen Gemeinden stark gefährden: viele Betroffene leiden unter mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit.
Im Jahr 2008 startete das Makeni-Projekt des Schweizer Konzerns Addax Bioenergy in der Nähe von Makeni, Sierra Leone. Das Unternehmen bekam eine Konzession zur Pacht von 54.000 Hektar Land für eine Dauer von 50 Jahren. Auf 23.500 Hektar wurden Zuckerrohrplantagen angelegt. Zudem wurde eine Ethanolraffinerie und ein Biomassekraftwerk errichtet. Ein Teil der Produktion war für die Einspeisung in das nationale Stromnetz vorgesehen.In erster Linie sollte jedoch Biodiesel für Europa produziert werden. Das Projekt wurde als zertifiziertes Vorzeigeprojekt für „nachhaltige Entwicklung“ angepriesen und mit 500 Mio. Dollar von acht europäischen Entwicklungsbanken, darunter auch der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), mitfinanziert.
Die Auswirkungen für die Betroffenen
Das Land war zuvor im Besitz von 52 Gemeinden mit ca. 25.000 Menschen, die von Subsistenzwirtschaft lebten. Sie wurden vor der Unterzeichnung nicht angemessen über die Bedingungen des Pachtvertrages informiert und konsultiert. Die Vereinbarungen selbst haben sie nie zu Gesicht bekommen. Dieses Vorgehen entspricht nicht den Standards, zu denen sich die Entwicklungsbanken verpflichteten. Frauen wurden bei der Entscheidungsfindung überhaupt nicht miteinbezogen.
Das Unternehmen hatte gegen sein Versprechen auch besonders fruchtbare Flächen dem Erdboden gleichgemacht – Felder, Gärten der Frauen sowie Wälder. Für die Betroffenen, insbesondere Frauen, die die Familien hauptsächlich ernähren, waren die Auswirkungen des Landverlustes für ihren Lebensunterhalt und die lokale Nahrungsproduktion gravierend:
„Früher haben wir auf all unseren Äckern Reis, Erdnüsse oder Bohnen angebaut. Jetzt haben wir keinen freien Zugang mehr zu unserem Land“, so Awana Koroma, eine Bäuerin aus der Nähe der Stadt Makeni.
Zudem konnten sie im Wald Wildfrüchte oder Yamswurzeln sammeln. Während die Bäuer*innen vorher Überschüsse des selbst produzierten Reises auf dem Markt in Makeni verkaufen konnten, müssen sie ihn nun teuer kaufen. Aufgrund der höheren Kosten für Nahrungsmittel verringern viele ihre Portionen und ernähren sich einseitiger. Zwar wurde den Bewohner*innen gestattet, das „Reserveland“ des Unternehmens (innerhalb der Konzession, derzeit nicht bewirtschaftet) zwischenzeitlich zu nutzen. Doch aufgrund der geringen Flächen und der Unfruchtbarkeit des Bodens, half ihnen das wenig. Hunger ist so eine tägliche Sorge für sie geworden.
Im Tausch für ihr Land wurde den Bewohner*innen damals Arbeitsplätze, Gesundheitszentren und Fortbildungen versprochen. Das Unternehmen hielt seine Versprechen jedoch größtenteils nicht ein.
Bereits 2015 fuhr Addax seine Produktion aufgrund des Ebola-Ausbruchs und aufgrund geringer Ernten zurück. Die Entlassung eines Großteils der Arbeiter*innen – hauptsächlich Männer – verschärfte die Situation für die Betroffenen weiter. Addax bot den Betroffenen keine Unterstützung. Eine Folge der Entlassungswelle war die Landflucht der Männer auf der Suche nach neuer Arbeit, sodass die Frauen nun noch eine größere Last schultern mussten.
Das Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF), das sich seit 2008 für das Recht auf Nahrung und für Ernährungssicherheit in Sierra Leone einsetzt, dokumentiert die Auswirkungen von Investitionen wie dieser und unterstützt die betroffenen Gemeinden gegen Landgrabbing. Seit 2013 begleitet auch FIAN Österreich durch das Netzwerk die Betroffenen und setzt sich dafür ein, dass diese gehört werden.
Eigentümerwechsel: Eine weitere Verschlechterung der Situation
Als Addax kurze Zeit später Konkurs anmeldete zogen sich die europäischen Entwicklungsbanken aus ihrer Investition zurück. Dabei versäumten sie es, die Menschen in den Gemeinden zu informieren und für die Auswirkungen ihrer Investition Verantwortung zu übernehmen. Die betroffenen Gemeinden verfassten mit SiLNoRF einen Beschwerdebrief. Dieser wurde jedoch letztlich mit dem Argument abgelehnt, dass der Vertrag zwischen dem Unternehmen und den Entwicklungsbanken nicht länger existiere. Laut Lansana Sowa vom SiLNoRF gebe es jedoch eine Verpflichtung der Entwicklungsbanken:
„Mit ihrem Geld wurde dieses Projekt gestartet. Sie können nicht einfach gehen und denken: Wir haben kein Geld mehr investiert – es ist uns egal, was dort passiert. Ihre Investition hat diese anhaltenden Effekte bewirkt.“
Ende 2016 wurde mit dem britisch-chinesischen Unternehmen Sunbird Bioenergy Africa Ltd., mit Sitz in Mauritius, ein neuer Haupteigentümer für das in „Sunbird Bioenergy Mabilafu“-Projekt umbenannte Projekt gefunden. 2019 kam das srilankische Unternehmen Brown’s Investment PLC als neuer Haupteigentümer hinzu. In beiden Fällen wurden die gepachteten Flächen hinter verschlossenen Türen und wiederum ohne Zustimmung der örtlichen Grundstückseigentümer*innen und –nutzer*innen an die neuen Investoren übergeben. Damit wurden auch die Land-Leitlinien der Vereinten Nationen missachtet, deren Anwendung in der Nationalen Landpolitik Sierra Leones seit 2015 festgeschrieben ist.
Weitere negative Konsequenzen des Eigentümerwechsels folgten bald: Als die neue Regierung 2018 den Vertrag zur Einspeisung des Stroms mit Sunbird beendete, missbrauchte das Unternehmen dies dazu, die Gehälter der Angestellten sowie die Landpachtgebühren einzubehalten.
Im März 2019 wurde den 300 Bewohner*innen des Dorfes Rothonka (kurz Tonka) ganz plötzlich mit der Umsiedlung gedroht. Auch wenn dies letztlich wieder zurückgenommen wurde, schwebt eine Umsiedlung weiter im Raum. Denn die Gemeinde befindet sich nur etwa 200 Meter von dem Biomassekraftwerk entfernt in einer Zone, die von der Umweltschutzbehörde aufgrund verschiedener Gesundheitsgefahren und einer Explosionsgefahr der Biogasbehälter als unsicher gilt. Die Gemeinde ist von Lärm und Luftverschmutzung, Verunreinigung der Wasserressourcen und Geruchsbelästigung betroffen. Viele der Bewohner*innen können oder wollen aufgrund der Umweltverschmutzung nicht bleiben. FIAN fordert den Schutz des Rechts auf Nahrung und Wasser für die Dorfbewohner*innen sowie eine Entschädigung für Gesundheitsfolgen.
Seit Brown‘s Übernahme dürfen die Bäuer*innen die landwirtschaftlichen Reserveflächen zudem nicht mehr für ihren Eigenanbau nutzen. Ohne ihr Land ist die Gefahr des Hungers für die Gemeinden nun allgegenwärtig und Frustration und Gewalt haben sich breitgemacht.
Außerdem haben die neuen Eigentümer Programme für den Gemüseanbau für Frauen aufgrund mangelnder Finanzmittel eingestellt. Versammlungen auf Dorfebene zur Information der Gemeinden finden unter Sunbird zudem nicht länger regelmäßig statt. Auch macht das Unternehmen ungerechtfertigterweise die Gemeinden für (die häufigen) Brände auf den Zuckerrohrplantagen verantwortlich, obwohl bei diesen selbst viele Häuser verbrannten und Ernten vernichtet wurden.
Wie geht es weiter?
FIAN fordert eine angemessene Entschädigung der Betroffenen durch die Banken und die Regierungen sowie den Zugang zur Justiz auch über die Beendigung der Verträge hinaus. Die Betroffenen müssen wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu ernähren. Grundsätzlich müssen Entwicklungsbanken aus diesem Fall lernen und der Finanzierung von großen und oft spekulativen Agrarprojekten eine Absage erteilen. Zudem müssen sie negative Auswirkungen auf die Menschenrechte verhindern, bzw. sie angehen, wenn sie auftreten.
Darüber hinaus ist laut SiLNoRF ein gemeinschafts- und menschenrechtsbasierter Ansatz für Entwicklung notwendig.
„Die Menschen vor Ort wissen, was sie wollen und wie ihre Entwicklung aussehen soll. Man muss sich mit ihnen zusammensetzen, man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, und sie müssen umfassend informiert werden“, sagt Lansana Sowa vom SiLNoRF.
Ein konsequent verfolgter Menschenrechtsansatz muss außerdem die kleinbäuerliche Wirtschaftsweise und den Zugang zu natürlichen Ressourcen stärken, Ökosysteme schützen und wiederherstellen sowie den Klimanotstand bekämpfen. So können das Recht auf Nahrung und Wasser sowie die Ernährungssouveränität der Betroffenen wiederhergestellt werden.
Auch Sie können Teil unseres Kampfes für Gerechtigkeit werden. Mit Ihrer Spende können wir uns weiter für die Menschenrechte der Menschen in Sierra Leone einsetzen und ihren Stimmen auch in Deutschland Gehör verschaffen.
So stärken Sie das Recht auf Nahrung weiter:
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