Die Proteste von Wanderarbeiter*innen in der Landwirtschaft in Italien nehmen zu. Die Hälfte der Landarbeiter*innen in Italien sind Migrant*innen, die in prekären Situationen leben und unter sklavereiähnlichen Bedingungen arbeiten.
Das sind die Erkenntnisse von Hilal Elver, der ehemaligen UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung. Im Juni 2020 starb sogar ein Plantagenarbeiter bei einem Brand in einem Ghetto, in dem viele Erntehelfer*innen leben. Der Bericht von Hilal Elver deckt sich mit den Informationen, die FIAN Deutschland bereits 2019 über die Ausbeutung im italienischen Obst- und Gemüseanbau veröffentlicht hat.
Mehr als 2.000 Plantagenarbeiter*innen leben im Ghetto Borgo Mezzanone, in der Nähe der Stadt Foggia in Süditalien. Hier ernten Menschen für nur 2-3 Euro pro Stunde Obst und Gemüse, obwohl der gesetzliche Mindestlohn für den Sektor 7 Euro pro Stunde beträgt. Sie sind gezwungen, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben.
Am 12. Juni 2020 brach in der informellen Siedlung ein Feuer aus, bei dem ein Senegalese ums Leben kam. Das ist der vierte Todesfall in Borgo Mezzanone innerhalb von anderthalb Jahren. Dieser Vorfall ereignete sich inmitten wochenlanger Proteste von Landarbeiter*innen in Italien. Sie fordern eine vertragliche Regulierung der Arbeitsverhältnisse unter Einbezug von Gesundheitsversorgung und Sozialversicherungen.
Ausbeutung und sklaverei-ähnliche Arbeitsbedingungen, unter denen die Erntehelfer*innen in Italien leiden, sind kein neues Thema. In einer veröffentlichten Erklärung von Januar 2020 hat Hilal Elver, damalige UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung, berichtet, dass Migrant*innen die Hälfte der Landarbeiter*innen in Italien ausmachen, die Mehrheit von ihnen aber undokumentiert ist. Die mangelnde Kontrolle des Sektors durch italienische Behörden sowie die abschottende Migrationspolitik des damaligen Innenmisters Salvini erschweren den Zugang zu formalen Aufenthaltstiteln für Nicht-EU-Bürger*innen und fördern dadurch irreguläre Arbeitsverhältnisse. Gleichzeitig wird gegen irreguläre Beschäftigung hart vorgegangen und die Arbeiter*innen stehen ohne arbeitsrechtlichen Schutz da. Auch während der pandemiebedingten Ausgangssperren mussten die Erntehelfer*innen auf den Plantagen ohne die notwendigen Schutzmaßnahmen arbeiten, um die Versorgung mit frischem Obst und Gemüse für die Supermärkte zu gewährleisten.
Nach Besuchen auf den Plantagen in Mittel- und Süditalien kritisiert Hilal Elver, dass irreguläre Erntehelfer*innen gezwungen seien, unter schwierigsten Bedingungen 12-Stunden Schichten zu übernehmen. Die Löhne seien zu niedrig, um Grundbedürfnisse abzudecken. Darüber hinaus lebten die meisten Plantagearbeiter*innen in überfüllten Unterkünften bzw. Ghettos wie Borgo Mezzanone, mit knappem Zugang zu Wasser und ohne Zugang zu Elektrizität oder Sanitärversorgung. Dies stelle eine Verletzung des Menschenrechts auf Wasser dar.
Über solche menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse im hochentwickelten italienischen Lebensmittelsystem berichtete FIAN bereits im Februar 2019. Italien ist einer der größten Produzenten von Obst und Gemüse in Europa und gehört zu den drei wichtigsten europäischen Importeuren von Gemüse und Lebensmitteln nach Deutschland.
FIAN fordert zusammen mit anderen Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft die Einführung eines Lieferkettengesetzes, welches den nötigen Rahmen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Zulieferketten schaffen soll. Deutsche Unternehmen müssen als Handelspartner italienischer Plantagen dazu verpflichtet werden, die Lieferketten bis zu den Plantagen zurückzuverfolgen und Maßnahmen gegen die offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen.