Unter der ersten Präsidentschaft von Lula da Silva wurden mit dem „Null Hunger“-Programm erfolgreich Hunger und absolute Armut bekämpft. So halbierte sich die Zahl der Hungernden zwischen 2004 und 2013 auf 7,2 Mio. Ein wesentlicher Erfolg war die Einführung des nationalen Schulspeisungsprogramms PNAE (Programa Nacional de Alimentação Escolar). Indem das Programm allen Schulkindern ein kostenloses Mittagessen zur Verfügung stellt, hilft es dabei, Hunger und extreme Armut in Brasilien zu lindern. Zudem wirkt es möglichen Folgen einer Mangelernährung wie irreparablen Entwicklungsstörungen entgegen.
Eine Schule, die von dem Programm profitiert, ist die Schule Belém do Solimões mit 1.200 Schüler*innen in der Gemeinde Tabatinga im Bundesstaat Amazonas. Die Bedeutung des Programms verdeutlicht der Lehrer Marcênio Tenazor: „die meisten [Eltern] leben von Landwirtschaft oder Fischfang. Nur wenige können es sich leisten, ihren Kindern jeden Morgen eine Tasse Kaffee und ein Mittagessen zu geben. Sie sind sehr auf die Schulspeisung angewiesen.“
Das Gesetz zur Schulspeisung schreibt vor, dass den Schüler*innen gesunde Lebensmittel bereitgestellt werden. Ultraverarbeitete Lebensmittel, also Produkte mit einem Übermaß an Salz, Zucker und Fett wie Softdrinks und industrielle Snacks sind von der Speisekarte ausgeschlossen. Sie werden mit einer Zunahme von Adipositas und Diabetes in Verbindung gebracht und ihr Konsum steigt weltweit – wie auch in Brasilien. Laut dem Lehrer Marcênio Tenazor fördert Obst als Snack an der Schule zudem die Fröhlichkeit und Lernbereitschaft der Kinder.
Unterstützung lokaler Kleinbäuer*innen
Darüber hinaus unterstützt das nationale Schulspeisungsprogramm eine nachhaltige Entwicklung. Mindestens 30 Prozent des staatlichen Budgets des Fundo Nacional de Desenvolvimento da Educação müssen für den Direktkauf von Lebensmitteln eingesetzt werden, die lokal und vorzugsweise in bäuerlichen Familienbetrieben erzeugt werden.
Die Schule Belém do Solimões wird täglich von der ansässigen Frauenorganisation Mapana mit frischem Obst und Gemüse beliefert. Sie gründete sich 2009 und besteht aktuell aus 200 Kleinbäuer*innen. Für die Frauen von Mapana ist die Teilnahme am nationalen Schulspeisungsprogramm aus mehrerlei Hinsicht von großer Bedeutung: Zuvor sahen sie keine Möglichkeit, ihr selbst angebautes Gemüse zu verkaufen, da die Stadt sehr weit entfernt ist und sie keine Transportmittel besaßen. Zudem verdarb ihr Gemüse. Nachdem sie in das nationale Schulspeisungsprogramm aufgenommen wurden, kauften sie sich ein Schnellboot für Lieferungen und Gefrierschränke zur Lagerung verderblicher Waren. Des Weiteren steigerten sie die Menge und Vielfalt der angebauten Lebensmittel: „Gemeinsam haben wir zwei Hektar Land gekauft, um Bananen, Kartoffeln, Maniok und Ananas anzubauen“, berichtet die Präsidentin, Adelina Fidelis. Heute profitieren sie von der lokalen Vermarktung ihrer Produkte.
Darüber hinaus fördert die Mitgliedschaft in der Mapana die Autonomie der Frauen und stärkt den Zusammenhalt in der Gemeinde. Kein Wunder also, dass sich ihr immer mehr junge Frauen anschließen. Außerdem fördert die Organisation die Weitergabe von agrarökologischem Wissen: „Von dem Moment an, in dem ein Kind zu laufen beginnt, nehmen wir es an unterrichtsfreien Tagen mit, damit es lernt, wie man pflanzt und anbaut. Auf diese Weise [geben] sie […] ihre Bräuche weiter,“ sagt die Bäuerin Marta da Silva Francisco. Mapana erhofft sich, dass ihre Freilandhühner bald ebenfalls an die Schulen im Rahmen des PNAE geliefert werden können.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Es gibt jedoch einige Schwierigkeiten bei der Umsetzung von PNAE. Das Budget für den Kauf der Lebensmittel ist knapp, da die Gemeinde keine eigenen Mittel bereitstellt. Zudem werden die meisten Ausgaben bisher für den teuren Transport auf dem Fluss sowie für die Lagerung aufgewendet. Als Folge ist die Menge an Lebensmitteln oft nicht ausreichend, um für alle 200 Schultage im Jahr die Versorgung sicherzustellen. Auch pro Schüler*in ist die Essensmenge bislang unzureichend. Hinzu kommen Probleme bei der Regelmäßigkeit der Lieferungen sowie Lagerungsprobleme, was das Risiko, dass Lebensmittel verderben, mit sich bringt.
Mitunter erschweren bürokratische Hindernisse die Direktkäufe bei Bauernfamilien: „Es ist für viele Kleinbauern schwierig, sich für die Teilnahme am Schulspeisungs-Programm registrieren zu lassen. Ein erleichterter Zugang würde uns sehr helfen“, sagt der Kleinbauer Jorginho Martins.
FIANs Engagement in Brasilien
FIAN Brasilien spielt eine wichtige Rolle für die Gewährleistung des Rechts auf Nahrung für alle Kinder in Brasilien. Valéria Burity, ehemalige Generalsekretärin von FIAN Brasilien, wurde 2023 von Präsident Lula da Silva zur Beauftragten für Hungerbekämpfung in das Ministerium für soziale Entwicklung berufen, wo sie die Ernährungssicherungsprogramme, die von Jair Bolsonaro abgebaut wurden, wiederherstellt. Zudem begleitet und unterstützt FIAN Brasilien bäuerliche Organisationen wie Mapana, um die Einhaltung der Gesetzgebung zur Schulspeisung sowie die Gewährleistung der korrekten Umsetzung des Schulspeisungsprogramms sicherzustellen. FIAN Brasilien empfiehlt auch einige Verbesserungen des Programms wie bestimmte Lebensmittel am Tag der Lieferung zuzubereiten, Schulküchen besser auszustatten, neue regionale Produkte in den Speiseplan aufzunehmen sowie die Speiseplanung besser an die Jahreszeiten anzupassen.
Vorbild für Deutschland
Auch Deutschland könnte sich Brasiliens Schulspeisungsprogramm zum Vorbild nehmen. Schätzungsweise sind 3,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Ernährungsarmut betroffen, insbesondere Kinder und Jugendliche in armutsgefährdeten Haushalten. Verschiedene Expert*innen kommen zu demselben Ergebnis: Die Regelsätze des Bürgergeldes in Deutschland sind nicht mit dem im UN-Sozialpakt verbrieften Recht auf angemessene Ernährung vereinbar. Die stark gestiegenen Lebensmittelpreise machen es einkommensschwächeren Haushalten immer schwerer, ihre Kinder von Tag zu Tag gesund zu ernähren. Häufig kaufen sie günstigere und hochverarbeitete Produkte.
Um der Ernährungsarmut zu begegnen, fordert FIAN, bundesweit eine tägliche kostenfreie und gesunde Schulspeisung für alle Kinder und Jugendlichen einzuführen. Diese Forderung steht im Einklang mit den Empfehlungen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ und berücksichtigt Kriterien wie Saisonalität und Frische als Standards für gesundes Schulessen. So kann frühzeitig eine gesunde Ernährungsweise bei den Kindern etabliert werden. Für die Umsetzung sowie die erforderlichen Verbesserungen in der Schulinfrastruktur müssen ausreichende öffentliche Mittel bereitgestellt werden.
Ein deutsches Schulspeisungsprogramm würde auch Familienbetriebe stärken, da ihnen die Teilnahme an dem Programm eine dauerhafte Einkommensquelle gewährleisten würde. Die Förderung der Agrarökologie stellt eine Lösung der aktuellen Ernährungs-, Klima- und Umweltkrise dar, indem sie die Lebenssituation von Kleinbäuer*innen verbessert, die Folgen der Klimakrise lindert und die natürlichen Lebensgrundlagen schützt.
FIAN trägt dazu bei, die Ungleichheiten bezogen auf das Recht auf Ernährung zu bekämpfen. Seien auch Sie Teil des gemeinsamen Kampfs gegen den Hunger und stärken Sie die Arbeit von FIAN mit einer Spende!