Der UN-Sozialausschuss hat einen Kommentar zur Geschäftstätigkeit multinationaler Firmen veröffentlicht (“General comment No. 24 on State obligations under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights in the context of business activities”). Der Kommentar (englisch) ist hier einsehbar.
FIAN Deutschland war an der Diskussion um den General Comment beteiligt und hat eine inoffizielle deutschsprachige Zusammenfassung erstellt (siehe unten). Lesen Sie hierzu auch ein Interview mit Rolf Künnemann, Human Rights Director von FIAN International.
Unternehmen spielen eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, unter anderem durch die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten und durch private Investitionen zur Entwicklungsförderung. Jedoch werden dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte regelmäßig Sachverhalte dargelegt, in denen Unternehmenstätigkeiten diese Rechte beeinträchtigen.
Die vergangenen dreißig Jahre haben eine deutliche Zunahme der Aktivitäten transnationaler Konzerne, wachsende Investitionen und Handelsströme zwischen den Ländern sowie die Entstehung globaler Lieferketten erlebt. Darüber hinaus werden große Entwicklungsprojekte zunehmend durch private Investitionen gefördert, oft in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften zwischen staatlichen Stellen und ausländischen Privatinvestoren. Aufgrund dieser Entwicklungen ist es wichtig geworden, sich mit der Frage extraterritorialer Menschenrechtsverpflichtungen von Staaten zu beschäftigen.
Der vorliegende General Comment zielt darauf ab, die Pflichten der Vertragsstaaten des UN-Sozialpakts zu klären, um nachteilige Auswirkungen geschäftlicher Aktivitäten auf die Menschenrechte zu verhindern. Bereits in einer Erklärung von 2011 bekräftigte der Ausschuss, dass die Verpflichtungen der Vertragsstaaten im Rahmen des Paktes nicht an ihren Staatsgrenzen enden. Aus dem Pakt ergeben sich – neben der Verpflichtung, die Rechte auf nationaler Ebene zu achten, zu schützen und zu gewährleisten – auch extraterritoriale Verpflichtungen.
Solche extraterritorialen Verpflichtungen entstehen, wenn ein Vertragsstaat durch die Regulierung transnationaler Unternehmen Einfluss auf Gegebenheiten außerhalb seines Staatsgebiets nehmen kann und somit implizit auf die dortige Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte einwirkt. Die Verpflichtung zur Einhaltung des Paktes wird laut UN-Sozialausschuss verletzt, wenn die Vertragsstaaten eine Politik verfolgen, die diesen Rechten zuwiderläuft. Im Rahmen von Investitionsprojekten kann diese Situation beispielsweise durch Zwangsvertreibungen entstehen.
Überproportional betroffen von nachteiligen Auswirkungen geschäftlicher Tätigkeiten sind Frauen, Kinder und indigene Völker. Die Nutzung bzw. Ausbeutung von Land und natürlichen Ressourcen betrifft vor allem Bauern, Fischer und andere Menschen in ländlichen Gebieten.
Investitionsbedingte Vertreibungen führen zur Diskriminierung der betroffenen Gruppen. Insbesondere Frauen sind dabei einem Risiko multipler Diskriminierung ausgesetzt. So führen investitionsbedingte Vertreibungen oft zu körperlicher und sexueller Gewalt, unzureichender Entschädigung und zusätzlichen Belastungen im Zusammenhang mit Neuansiedlungen. Im Zuge derartiger Vertreibungen sind indigene Frauen und Mädchen nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern auch durch ihre Zugehörigkeit zu einem indigenen Volk Diskriminierung ausgesetzt. Darüber hinaus zeigt sich weltweit, dass Frauen häufiger informell beschäftigt sind und weniger soziale Sicherheit genießen. Auch in unternehmerischen Entscheidungsprozessen sind sie weiterhin unterrepräsentiert. Der Ausschuss empfiehlt daher, die spezifischen Auswirkungen der Geschäftsaktivitäten auf (indigene) Frauen und Mädchen zu berücksichtigen und eine Genderperspektive in alle Maßnahmen zur Regulierung von Geschäftsaktivitäten einzubeziehen, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beeinträchtigen können.
Ein weiteres Augenmerk des Ausschusses liegt auf der Berücksichtigung indigener Völker, deren kulturelle Werte und Rechte meist eng mit dem besiedelten Land verbunden sind und daher durch Landraub besonders gefährdet sind. Unternehmen sollten in Bezug auf indigene Völker den Grundsatz der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung befolgen („prior and informed consent“), besonders bei Angelegenheiten, die deren Rechte beeinträchtigen könnten, einschließlich ihrer Länder und Ressourcen, die sie traditionell besiedeln oder anderweitig verwendet oder erworben haben. Vertragsstaaten sollten in diesem Rahmen sicherstellen, dass die Rechte der indigenen Bevölkerung durch die Unternehmen angemessen berücksichtigt werden.
Insgesamt sollen Staaten den privaten Sektor so regulieren, dass Dienstleistungen und Waren für alle zugänglich bleiben. Rechte des geistigen Eigentums dürfen nicht zur Zugangsbeschränkung produktiver Ressourcen führen, wie es beispielsweise bei der Patentierung von Saatgut der Fall ist. Diese sind für die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung und die Rechte von Landwirten von entscheidender Bedeutung.
Aufgrund dieser möglichen Missstände fordert der Ausschuss die Vertragsstaaten auf, notwendige Schritte gemäß ihrer exterritorialen Verpflichtungen zu unternehmen, um Menschenrechtsverletzungen im Ausland durch einheimische Unternehmen zu verhindern. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Firmen, die unter dem Einfluss des jeweiligen Unternehmens stehen, z.B. Tochtergesellschaften oder Zulieferer, die Rechte des Paktes ebenfalls respektieren. So empfiehlt der Ausschuss den Staaten, Sorgfaltspflichten zu statuieren, um Missbrauch von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in der Lieferkette eines Unternehmens und von Auftragnehmern, Lieferanten, Franchisenehmern oder anderen Geschäftspartnern zu verhindern.
Die Vertragsstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um Rechtsverletzungen zu verhindern. Wenn vorbeugende Maßnahmen fehlschlagen und Geschäftsaktivitäten zum Verstoß gegen Rechte führen, sollen Sanktionen gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen eingeleitet werden. Zugleich müssen den betroffenen Personen oder Gruppen angemessene Mittel zur Verfügung stehen, die ihnen einen wirksamen Zugang zur Gerichtsbarkeit gewähren und die Rechenschaftspflicht der Unternehmen sicherstellen. Dies erfordert, dass Betroffene, die Rechtsbehelfe suchen, sofortigen Zugang zu einer unabhängigen Behörde haben, welche feststellt, ob eine Verletzung stattgefunden hat und die Beendigung der Verletzung oder eine Wiedergutmachung durchsetzt. Die Wiedergutmachung kann in Form von Restitution, Entschädigung, Rehabilitation und Garantie der Nichtwiederholung erfolgen und muss die Interessen der Betroffenen berücksichtigen.
Extraterritoriale Verpflichtungen sind insbesondere von Bedeutung bei Verhandlungen und Abschlüssen von Handels- und Investitionsabkommen oder von Finanz- und Steuerabkommen sowie für die juristische Zusammenarbeit. Menschenrechts- und Folgenabschätzungen sollten dem Abschluss solcher Verträge vorausgehen, auch sollte die Auswirkungen auf die Menschenrechte bei der Umsetzung derartiger Vereinbarungen regelmäßig beurteilt werden.
Betroffene von Menschenrechtsverletzungen, die durch die Geschäftstätigkeit transnationaler Unternehmen verursacht werden, stehen bisher meist vor Hindernissen bezüglich des Zugangs zu wirksamen Rechtsbehelfen. Aufgrund der intransparenten Verflechtungen vieler Konzerne beispielsweise mit ihren Tochterfirmen, wird eine rechtliche Verantwortung in der Regel abgelehnt und auf das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip von Mutter- und Tochterunternehmen verwiesen – selbst wenn das Mutterunternehmen in der Lage gewesen wäre, Einfluss auf die Geschäftsaktivitäten des Tochterunternehmens zu nehmen. Eine weitere Schwierigkeit liegt im Zugang zu Informationen und Beweisen, um die gestellten Ansprüche zu begründen. Neben der Schwierigkeit, den Anspruch auf Schadensersatz zu beweisen, sind transnationale Rechtsstreitigkeiten zudem oft unerschwinglich teuer und zeitaufwendig.
In transnationalen Fällen erfordert eine wirksame Rechenschaftspflicht eine verbesserte internationale Zusammenarbeit, durch die Risiken von Zuständigkeitskonflikten verringert werden. Diesbezüglich begrüßt der Ausschuss alle Bemühungen bei der Verabschiedung internationaler Instrumente, die die Pflicht der Staaten zur Zusammenarbeit verstärken, um die Rechenschaftspflicht und den Zugang zu gerechten, effektiven Rechtsmitteln für die Opfer von Verletzungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte in transnationalen Fällen zu verbessern.
Der Ausschuss plädiert für eine Implementierung von staatlichen Aktionsplänen zu Wirtschaft und Menschenrechten. Diese sollten eine effektive Partizipation von Betroffenen, die Nichtdiskriminierung und Gleichstellung der Geschlechter sowie Rechenschaftspflichten und Transparenz beinhalten. Solche Pläne sollten alle Kategorien von Menschenrechten, einschließlich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, gleichermaßen betonen und deren Einhaltung regelmäßig überwachen. Denn schließlich haben sich alle Mitglieder der Vereinten Nationen dazu bekannt, gemeinsam die in Artikel 55 der UN-Charta festgelegten Ziele zu erreichen, einschließlich der allgemeinen Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Personen ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion. Diese Pflicht gilt ohne territoriale Beschränkung.