Entgegen dem Versprechen, wonach die Digitalisierung weit verbreitete Probleme im Landsektor wie Korruption und unsichere Grundbesitzverhältnisse beheben werde, zeigt eine neue Studie von FIAN, wie digitale Technologien Ungleichheiten und Landraub weiter fördern können.
Während mächtige Großkonzerne auf dem jüngsten Weltwirtschaftsforum über „Tech for Good“ diskutierten, zeigt die neue FIAN-Studie „Disruption or Déjà Vu? Digitalization, Land and Human Rights“, dass digitale Technologien Ungleichheiten im Landsektor erhöhen und zu Instrumenten des Landraubs missbraucht werden können. Für die Studie wurden Projekte und Entwicklungen in Brasilien, Indonesien, Georgien, Indien und Ruanda untersucht. Diese zeigen auf, wie die Digitalisierung zur Verschärfung existierender Formen von Ausgrenzung beiträgt.
Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie gehören:
• Großunternehmen und lokale Eliten nutzen die neuen Technologien mitunter, um sich Land zu sichern und lokale Gemeinden zu vertreiben. Ein Beispiel hierfür ist der 700.000 Hektar große Mirador Nationalpark in Brasilien, wo sich Agro-Unternehmen mit Hilfe von digitalen Katastern Land in Naturschutzgebieten illegal angeeignet haben. Hunderte Familien, die dort seit Generationen leben, wurden in Folge dieses digitalen Landraubs vertrieben.
• In mehr als 20 Ländern weltweit wird mit der Blockchain-Technologie – welche Kryptowährungen wie Bitcoin zugrunde liegt – im Landsektor experimentiert. Mit dieser „cutting-edge“ Technologie soll es angeblich möglich sein, grundlegende Probleme im Landmanagement nahezu mit einem Schlag zu lösen. Die aktuell verfügbaren Informationen über die verschiedenen Projekte deuten jedoch darauf hin, dass sich die Technologie bisher als wenig effektiv erwiesen hat. Viele Testversuche sind ins Stocken geraten oder werden nicht weitergeführt.
• Obwohl der Zugang zu Land für eine Vielzahl von Menschenrechten und das Wohl der ländlichen Bevölkerung von zentraler Bedeutung ist, werden viele Digitalisierungsprojekte ohne Vorkehrungen zum Schutz von Menschenrechten implementiert.
• Ohne eine feste Einbettung in Menschenrechte und einen klaren Fokus auf das öffentliche Interesse sind die Hauptnutznießer der Digitalisierungsprojekte im Landsektor zumeist Agro- und Hi-Tech-Unternehmen, während benachteiligte Gruppen das Nachsehen haben. Die Regierungen verlassen sich zunehmend auf Privatunternehmen, um die Infrastruktur für die digitale Landverwaltung bereitzustellen, wodurch die öffentliche Kontrolle über grundlegende Dienstleistungen und Güter untergraben wird.
• Internationale Geber stellen Hunderte Millionen Dollar für den Einsatz digitaler Technologien im Landsektor zu Verfügung. Allein die Weltbank investiert und verleiht mehr als eine Milliarde US-Dollar für Landprojekte mit Digitalisierungskomponente in Subsahara-Afrika sowie Süd- und Südostasien.
„Die gegenwärtige Anwendung von digitalen Technologien verstärkt häufig Ungleichheiten im Landsektor. Das ist keine Tech for Good, sondern Tech für Profite“, erklärt Philip Seufert, einer der Autoren der Studie. „Die Frage ist nicht, ob digitale Technologien gut oder schlecht sind. Wenn ihr Einsatz nicht menschenrechtlich eingebettet ist, profitiert nur eine kleine Gruppe mächtiger Unternehmen und Eliten. Ländliche Gemeinden hingegen laufen Gefahr, ihr Land und ihre Existenzgrundlage zu verlieren“, so Seufert weiter.
Die Verteilung von Land ist ein Indikator für soziale Ungleichheiten. Seit der Finanzkrise von 2008, die einen weltweiten Ansturm auf Land ausgelöst hat, kommt es vermehrt zu Vertreibungen lokaler Gemeinden. Unsicherer Zugang zu Land ist auch eine wichtige Ursache für Armut und Hunger. Dies anzugehen erfordert das Bekämpfen struktureller Probleme, wie zum Beispiel die äußerst ungleiche Verteilung von Land und der mangelhafte Schutz der Landrechte ländlicher Gemeinden. Digitalisierung – wie zum Beispiel die Einführung digitaler Kataster – wird als Königsweg zur Lösung der Probleme im Landsektor angepriesen. Doch die Initiativen in den fünf Ländern, welche im Rahmen der Studie analysiert wurden, zeigen, dass landbezogene Digitalisierungsprozesse vielerorts in erster Linie dazu dienen, Land für Finanzinvestitionen attraktiv zu machen.
„Es ist inakzeptabel, dass Regierungen und Entwicklungsbanken den Einsatz digitaler Technologien im Landsektor vorantreiben, ohne international akzeptierte Menschenrechtsstandards zu berücksichtigen“, sagt Mathias Pfeifer, Koautor der Studie. „Es ist unverantwortlich und gefährlich, wenn strukturelle Diskriminierung allein mit technischen Lösungen bekämpft werden soll. Verschlimmert wird die Lage durch die zumeist mangelnden Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen.“
Die analysierten Fälle zeigen zudem, dass Digitalisierung oft mit einer Übertragung von Kompetenzen des Staates auf private Akteure einhergeht. In Georgien beispielsweise betreibt ein niederländisches Unternehmen die Blockchain-Infrastruktur, die als Grundlage für das Landmanagementsystem des Landes dienen soll. Diese und andere öffentlich-private Partnerschaften geben Anlass zu ernsthafter Besorgnis über die öffentliche Kontrolle zentraler Gütern. Im Jahr 2020 kündigte die Welternährungsorganisation (FAO) die Einrichtung einer Plattform an, welche Richtlinien für die Anwendung digitaler Technologien im Kontext von Ernährung und Landwirtschaft bereitstellen soll. Die Ergebnisse der FIAN-Studie unterstreichen die Notwendigkeit, international vereinbarte Menschenrechtsstandards im Zusammenhang mit Digitalisierung aufrechtzuerhalten und umzusetzen, einschließlich der Landleitlinien der FAO.
– FIAN-Studie „Disruption or Déjà Vu? Digitalization, Land and Human Rights“
– Analysis Grid for the Assessment of Land-related Digitalization Projects and Processes from a Human Rights Perspective
– Mapping of Digitalization and Blockchain Projects in the Land Sector
– Deutsche Zusammenfassung der Studie (Fact Sheet)
*Inwiefern ist Land und Landpolitik von Digitalisierung betroffen?
Digitale Technologien werden zunehmend für die Verwaltung und das Management von Land eingesetzt. Zum Beispiel wird Land mit GPS-Geräten und Drohnen kartiert und abgegrenzt. Informationen zu Landbesitz und -nutzung werden in digitalen Registern und Katastern gespeichert. Schließlich werden digitale Tools und Plattformen zur Durchführung von Landtransaktionen genutzt und beeinflussen die Landpolitik. Die Digitalisierung im Kontext von Land hat große Auswirkungen auf den Zugang zu, die Nutzung von und die Kontrolle über diese wichtige Ressource.
Konakt:
Mathias Pfeifer | Referent Fallarbeit
m.pfeifer@fian.de +49 176 54113988