Eine der jüngsten und zugleich sehr aktiven FIAN-sektionen befindet sich in sri Lanka. Das südasiatische Land wurde im vergangenen Jahr von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert, mit verheerenden Auswirkungen auf die bevölkerung. Viele haushalte haben sich verschuldet, um die steigenden Preise für Lebensmittel, Medikamente und Kraftstoffe zahlen zu können. FIAN Sri Lanka setzt sich für die Rechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, Bäuerinnen und Bauern sowie Fischer* innen ein und kooperiert hierbei auch mit Behörden. Sabine Pabst (FIAN International) sprach mit dem Geschäftsführer Thilak Karyawasam und dem Vorstandsvorsitzenden Sathivel Visvalingam.
Können Sie die Arbeitsbereiche von FIAN Sri Lanka skizzieren?
Thilak: Im Jahr 2016 gründeten wir zunächst eine FIAN-Gruppe. Von Anfang an hatten wir das Ziel, FIAN Sri Lanka zu etablieren. 2019 wurden wir offiziell als Sektion anerkannt. Aktuell haben wir 43 Mitglieder, dies schließt auch Organisationen mit ein.
Anfangs arbeiteten wir in zwölf der 25 Distrikte Sri Lankas. Mittlerweile sind es 14, verteilt auf verschiedene Regionen des Landes. Insbesondere unterstützen wir die Etablierung von Netzwerken zum Recht auf Nahrung. Mittlerweile gibt es 120 Organisationen, die sich teils sehr aktiv in diesen Netzwerken engagieren. FIAN Sri Lanka arbeitet mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Personen zusammen, insbesondere Gewerkschaften, Plantagenarbeiter*innen, Fischereiorganisationen, Beschäftigten im Bekleidungssektor, mit Kriegswitwen, Kindern und Jugendlichen sowie Menschen mit Behinderung. Auch kooperieren wir mit Vertreter*innen örtlicher Behörden, zum Beispiel den Inspektor*innen für öffentliche Gesundheit, die uns bei der Arbeit zum Recht auf Nahrung unterstützen.
In der ersten Phase unserer Arbeit ging es vor allem darum, zu vermitteln, dass Nahrung ein Menschenrecht ist, und welche Bedeutung und Implikationen damit einhergehen. Nach dieser ersten Phase haben wir nun unseren Ruf gefestigt und einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht.
Wie sieht die Arbeit konkret aus?
Ein Beispiel ist die Situation der Straßenverkäufer*innen. Früher gab es in Sri Lanka ein gut funktionierendes System von Kooperativen. Dieses ist aber im Verschwinden begriffen. Der Fokus liegt stattdessen auf der Etablierung des Supermarktkonzepts. Insbesondere ärmere Bevölkerungsgruppen können sich die Nahrungsmittel im Supermarkt jedoch nicht leisten. Daher haben wir Dialoge sowohl mit Straßenverkäufer*innen als auch mit Konsument*innen geführt und die Menschenrechtsverletzungen analysiert, die mit dem Supermarktsystem einhergehen. Wir unterstützen die Straßenverkäufer*innen, sich gemeinschaftlich zu organisieren und die Qualität der von ihren angebotenen Nahrungsmittel zu verbessern. Angesichts häufiger Vertreibungen haben wir mit den Behörden zusammengearbeitet, um den Straßenverkäufern*innen garantierte Verkaufsflächen zur Verfügung zu stellen. Zudem haben wir uns für die Verabschiedung gesetzlicher Regelungen und Garantien sowie für Gesundheitsrichtlinien eingesetzt.
Jetzt suchen die örtlichen Behörden den Kontakt zu uns und fragen unsere Unterstützung an, um bei Problemen zu vermitteln. Wir arbeiten auch eng mit anderen Menschenrechtsorganisationen zusammen sowie mit Anwält*innen und Verbraucherschutzorganisationen.
In Sri Lanka wurde 2019 eine Verfassungsänderung angekündigt. Wie sieht der aktuelle Stand hierzu aus?
Thilak: FIAN Sri Lanka wurde damals gebeten, Vorschläge in Bezug auf die Einbeziehung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte zu machen. Leider wurde das Projekt der Verfassungsänderung nicht weiterverfolgt. Es bleibt zu hoffen, dass es wieder aufgegriffen wird.
Wir hatten aber Erfolg in Bezug auf die Ernährungspolitik Sri Lankas, welche ursprünglich vom Gesundheitsministerium koordiniert wurde. Wir haben stattdessen die Etablierung eines multisektoralen Komitees vorgeschlagen, um Aspekte wie Nachhaltigkeit und Produktion berücksichtigen zu können. Dieser Vorschlag wurde aufgegriffen: 17 Ministerien wurden konsultiert, und eine Abteilung für Ernährungssicherheit geschaffen, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist.
Aktuell wird die Verabschiedung eines neuen Nahrungssicherungsgesetzes vorbereitet. FIAN Sri Lanka versucht, Einfluss auf eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung des Gesetzes zu nehmen. Wir haben daher in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden bisher drei zivilgesellschaftliche Konsultationen auf Distriktebene organisiert. Diese sind explizit nicht nur an CSOs gerichtet, sondern auch an Bauern und Bäuerinnen, Nahrungsmittelhandwerk, Gewerkschaften, Plantagen-, Fischerei- und andere Arbeiter*innen.
Wie lautet Ihre Analyse der Lebensmittel- und Wirtschaftskrise im Jahr 2022?
Thilak: Die Wirtschaft Sri Lankas basierte viele Jahre lang vor allem auf dem Tourismus und dem Export von Plantagenprodukten wie Tee, Kautschuk und Kokos. Nach den Bombenanschlägen zu Ostern 2019 brach der Tourismus ein. Die Investitionen in den Exportsektor gingen zurück, und die Auslandsüberweisungen brachen ein. Dazu kamen die Coronakrise und der Krieg in der Ukraine.
Die Regierung war dadurch nicht in der Lage, an genügend Überbrückungskredite zu gelangen, und kürzte daher bei den Ausgaben: Einen großer Posten (400 Millionen Dollar jährlich) machte der Import von Kunstdünger und Pestiziden aus – ein Hauptgrund für den ungeplanten, abrupten und ohne Unterstützung durchgeführten Übergang zu chemiefreier Landwirtschaft. Viele Landwirt*innen waren unsicher und ließen die Anbausaison lieber ausfallen, und hofften, dass das Verbot chemischer Düngemittel wieder aufgehoben würde.
Zur geringeren Produktion kam die ungeregelte Preisentwicklung, besonders für importierte Nahrungsmittel, von denen Sri Lanka stark abhängig ist. Leider hat sich die Agrarlobby durchgesetzt und das Verbot von Agrarchemikalien wurde aufgehoben. In dieser Saison gibt es sogar eine kostenlose Ausgabe von Kunstdünger.
Können Sie die derzeitige Situation und die Herausforderungen in Bezug auf das Recht auf Nahrung in Sri Lanka beschreiben?
Visva: Die aktuellen Auflagen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds sind gravierend. So müssen zum Beispiel Krankenhäuser an Medizin sparen. Das System des Welternährungsprogramms WFP und der Welternährungsorganisation FAO hat viele Schwachstellen, die wir untersucht haben. Wir kritisieren, dass vor allem importierter Reis und Linsen verteilt werden, obwohl die Reisbauern und -bäuerinnen in Sri Lanka Probleme haben, ihre Ernte zu verkaufen. Angeblich ist dies ein logistisches Problem. Das Öl ist von minderwertiger Qualität. In den Schulen wird Reis ausgegeben, der mit Vitaminen angereichert ist – trotz Protesten von Lehrern und Eltern, die lokale Sorten bevorzugen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Einführung von Nahrungsmittelgutscheinen, die bisher nur in Supermärkten eingelöst werden konnten und damit Produzenten*innen und Vermarkter vor Ort benachteiligen. Erst seit kurzem und nach Protesten sind sie auch in kleineren Läden einlösbar. Durch unser Monitoring konnten wir weitere Probleme dokumentieren: Vielfach gibt es Korruption und Bestechung, so dass man den Eindruck gewinnt, dass all diese Programme eine große Geldverschwendung darstellen.
Haben Sie Vorschläge für die Zusammenarbeit mit FIAN Deutschland und anderen FIAN-Sektionen?
Thilak: Wir hatten einen Austauschbesuch in Nepal zum Thema indigene Völker. Wir haben darüber diskutiert, wie wir die regionale Zusammenarbeit intensivieren können. FIAN Sri Lanka plant eine kritische Bewertung der Strukturanpassungen von Weltbank und IWF, die zu Unterernährung und Nahrungsmittelknappheit führen werden. Wir müssen schauen, wie wir Alternativen fördern können. Außerdem möchten wir eine Expert*innenanalyse der Nahrungsmittelkrise im Land durchführen und brauchen Unterstützung bei der Untersuchung aus verschiedenen Blickwinkeln, insbesondere auch aus internationaler Perspektive.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem neuen FoodFirst, das FIAN-Mitgliedermagazin. Sie sind neugierig auf weitere spannende Artikel geworden? Das FoodFirst-Magazin können Sie hier abonnieren. Oder sichern Sie sich ein kostenloses Probeexemplar in gedruckter Form. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an info@fian.de.
Artikel als PDF: FIAN Sri Lanka: Nahrungskrise und Sparprogramme