Brasiliens Regierungschef Lula machte die Hungerbekämpfung bei seinen Amtsantritten 2003 und 2023 zur politischen Priorität. Unter ihm kam es zum Wiedererstarken des nationalen Ernährungsrates CONSEA, der sich seither mit größtem Erfolg für die Linderung von Hunger und Armut einsetzt. Im Interview erzählt uns dessen Präsidentin Elisabetta Recine, wie CONSEA entstanden ist, was ihn auszeichnet und wie er zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung beiträgt.
Elisabetta, was genau ist der CONSEA?
CONSEA ist ein offizielles Beratungsgremium der Präsidentschaft Brasiliens. Seine Hauptaufgabe besteht darin, öffentliche Politikmaßnahmen zu Ernährungssicherheit und dem Recht auf Nahrung vorzuschlagen und zu überwachen. Der nationale Ernährungsrat setzt sich zu zwei Dritteln aus Mitgliedern der Zivilgesellschaft und einem Drittel aus Regierungsvertreter*innen zusammen, die zu Ernährung aktiv sind. Auch der Vorsitz des Rates wird von der Zivilgesellschaft gestellt. Die Zivilgesellschaft ist in ihrer ganzen Vielfalt repräsentiert: So sind Indigene und Schwarze Gemeinschaften, Menschenrechtsaktivist*innen und Frauenorganisationen in ihm vertreten. Auch bäuerliche Bewegungen, Familienbetriebe und agrarökologisch wirtschaftende Genossenschaften sind Teil von CONSEA.
Wie funktioniert die Kooperation mit der Regierung?
Alle Themen werden zunächst in Plenarsitzungen und ständigen Ausschüssen durch Vertreter*innen von Regierung und Zivilgesellschaft erörtert. Alle genehmigten Vorschläge werden dann an die Präsidentschaft und die Interministerielle Kammer weitergeleitet.
Wie kam es zur Gründung von CONSEA?
Dafür waren die sozialen Bewegungen rund um den Re-Demokratisierungsprozess nach Brasiliens Diktatur in den 1960er bis 80er Jahren entscheidend. Sie brachten das Thema Hungerbekämpfung in die Politik. Die neue Verfassung von 1988 sollte neue soziale Beteiligungsmöglichkeiten in politischen Entscheidungsprozessen eröffnen. In diesem Kontext wurde CONSEA 1993 gegründet – nur um zwei Jahre später durch den damaligen Präsidenten wieder aufgelöst zu werden.
Wie kam es dann zum Wiedererstarken? Und wie hat CONSEA die freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung beeinflusst?
Präsident Luíz Inacio Lula da Silva setzte bei seinem ersten Amtsantritt 2003 mit dem Beschluss der Null-Hunger-Strategie und der Reaktivierung von CONSEA die Bekämpfung des Hungers an die Spitze seiner politischen Agenda. Mit den ersten Erfolgen und dem neu zusammengesetzten CONSEA im Rücken hatten wir eine viel klarere Vision für die Politik rund um das Recht auf Nahrung. Damit konnten wir uns 2004 entschieden in die Verhandlungen der freiwilligen Leitlinien einbringen.
Und wie haben die freiwilligen Leitlinien CONSEA beeinflusst?
Im Jahr 2006 wurde auf Grundlage eines von den Leitlinien inspirierten Gesetzes das nationale System für Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Dadurch wurden in allen brasilianischen Bundesstaaten und in vielen Städten Ernährungssicherheitsräte geschaffen – in den Städten sind es bereits mehr als 1000 (20 Prozent aller Städte), und ihre Zahl steigt weiter. Auch haben die Leitlinien CONSEA dazu veranlasst, eine ständige Kommission für das Recht auf Nahrung einzurichten. Diese hat dann wiederum Vorschläge für Förderinstrumente für wichtige Programme wie Schulernährung entwickelt.
Was ist CONSEAs größte Stärke?
Partizipation! Wir versuchen, ein breites Spektrum zusammenzubringen, damit die Beteiligten mit einer Stimme sprechen können. Des Weiteren die sektorübergreifende Zusammenarbeit: 24 Ministerien sind mit den Forderungen der Zivilgesellschaft konfrontiert. Das Engagement der Mitglieder, die Diversität und Repräsentativität der verschiedenen Sektoren der brasilianischen Gesellschaft, die Qualität der Vorschläge, die sich auf bewährte Praktiken und eine hervorragende wissenschaftliche Grundlage stützen – all das sind unsere Erfolgsfaktoren.
Allein von 2022 auf 2023 konnte die Zahl der Menschen in Ernährungsunsicherheit in Brasilien um 13 Millionen verringert werden, als mehr als 80 Prozent. Was sind die wesentlichen Gründe für diesen großen Erfolg?
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Verknüpfung umverteilender Maßnahmen wie Geldtransfers, Gemeinschaftsküchen und Lebensmittelbanken in Kombination mit strukturellen Maßnahmen wie der Ausweitung des Beschäftigungsangebots und der Anhebung des Mindestlohns.
Das Interview übersetzten und redigierten Nina Uretschläger und Jan Dreier. Gekürzte Version des Originalartikels: www.rural21.com/english/a-closer-look-at/detail/article/a-system-that-is-uniform-is-not-resilient.html