Menschenrechtsorganisation fordert Untersuchung durch Landtag NRW
Köln, den 16. Dezember 2015. Die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL), Pensionskasse der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hat Gelder ihrer Mitglieder in einem globalen Fonds angelegt, der Land in Brasilien aufkauft. Die Menschenrechtsorganisation FIAN kritisiert diese Investition seit drei Jahren als menschenrechtlich hoch bedenklich. Eine aktuelle Recherche bestätigt nun diese Bedenken, deckt dubiose Firmengeflechte und Verwicklungen in Landkonflikte und Vertreibungen auf. FIAN sieht akuten Handlungsbedarf.
Schon 2012 hatte FIAN die ÄVWL direkt auf die problematischen Investitionen in den US-amerikanischen Fonds TIAA CREF Global Agriculture (TCGA) angesprochen. Diese wies jegliche Kritik von sich und behauptete im Gegenteil „mit ihrem Engagement‚ dem notwendigen globalen Strukturwandel der Agrar- und Nahrungsmittelproduktion humanitäre, ethische und umweltpolitische Kriterien zugrunde zu legen“. Konfrontiert mit den Rechercheergebnissen will sie nun den Vorwürfen nachgehen.
Wegen der Weigerung, Informationen zu den konkreten Landkäufen offen zu legen, war es bisher fast unmöglich, die menschenrechtlichen Folgen dieser Landkäufe zu bewerten. Ein nun vorgelegter Bericht der brasilianischen Menschenrechtsorganisation Rede Social de Justiça e Direitos Humanos und weiteren Nichtregierungsorganisationen identifiziert vier Farmen im Süden Brasiliens als Investitionsobjekte. Die Ergebnisse der Studie bestätigen die Kritik von FIAN:
• Für den Fonds der Pensionskassen wurde ein undurchsichtiges Firmen- und Finanzierungsgeflecht aufgebaut, wodurch faktisch die gesetzlichen Beschränkungen des Landerwerbs durch ausländische Investoren umgangen wurden.
• Die vier Farmen befinden sich in den Bundesstaaten Maranhao und Piaui, in denen Landkonflikte im Zuge der agrarindustriellen Expansion von Gensoja an der Tagesordnung sind.
• Zwei der von TCGA erworbenen Farmen konnten mit einem berüchtigten brasilianischen Geschäftsmann in Verbindung gebracht werden, der der Geldwäsche und des Landgrabbings unter Beihilfe bezahlter Schläger bis hin zu Auftragsmord beschuldigt wurde. Auch offizielle Stellen ermitteln gegen ihn.
• Die ländlichen Gemeinden im Umfeld der Farmen berichten über typische Auswirkungen des Landgrabbings. Die Expansion der Agrarindustrie engt ihren Lebensraum systematisch ein, zerstört schrittweise ihren Zugang zu Land, Wasser und Wäldern und setzt sie teilweise extremen Belastungen durch Pestizide aus.
„Unsere als überzogen abgetane Kritik wurde nun bestätigt. Wir fordern die Ärztekasse auf umgehend und umfassend zu diesen schwerwiegenden Vorwürfen Stellung zu beziehen,“ so Roman Herre, Agrarreferent von FIAN Deutschland. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts unterliegt die ÄVWL der Aufsicht des Finanzministeriums des Landes NRW. Zusätzlich pikant ist, dass die ÄVWL auch die Pensionen der nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten verwaltet. „Wir sehen Handlungsbedarf bei der Landesregierung und dem Landtag,“ so Herre weiter. „Der Landtag sollte eine umfassende Überprüfung aller Landkäufe in Brasilien, an denen die ÄVWL beteiligt ist, einleiten.“
Die Herausgeber des Berichts fordern die Pensionskassen auf, sich aus dem Geschäft mit Agrarland zurückzuziehen und sicherzustellen, dass die schon erworbenen Flächen an die lokale Bevölkerung zurückgegeben werden.
Kontakt:
Roman Herre, Agrarreferent, Tel: 0221-7020072, Mobil: 0176-76145926, r.herre(ät)fian.de
Hintergrund:
• TIAA-CREF ist eines der größten Versorgungswerke weltweit und verwaltet die Renten von Lehrern und Professoren sowie von ArbeiterInnen in der Unterhaltungsbranche in den USA. 2012 legte es unter dem Namen TIAA CREF Global Agriculture LLC (TCGA) einen 2 Milliarden US-Dollar schweren Fonds zum Kauf von Farmland weltweit auf. Neben der ÄVWL haben weitere Versorgungswerke weltweit Gelder in den Fonds angelegt. 2015 folgte ein zweiter, 3 Milliarden US-Dollar schwerer Farmland-Fonds (TCGA II).
• Die ÄVWL ist ein berufsständisches Versorgungswerk, welches für die Alterssicherung von mehr als 50.000 ÄrztInnen und ihren Familienangehörigen zuständig ist. Es verwaltet ein Vermögen von über 10 Milliarden Euro und hat sich 2012 mit etwa 80 Millionen Euro an dem Farmland-Fonds TCGA beteiligt.
• Schon 2010 hat der 113. Deutsche Ärztetag die Versorgungswerke der Ärzte aufgefordert, ihre Investitionen unter ethischen Gesichtspunkten vorzunehmen. Dies beinhaltet die Respektierung der Menschenrechte. Eine effektive Umsetzung dieses Beschlusses durch die Landeskammern findet nicht statt.
• Land als Helherware. Ein Zwischenhändler organisiert sich teilweise gewaltsam und mit Einschüchterungen Land, welches von lokalen Gemeinden genutzt wird. Sobald das Land freigeräumt und abgesteckt ist, werden mithilfe von Bestechung formale Besitzurkunden und Grundbucheinträge organisiert. Diese in Brasilien gängige und in der Region der Landkäufe (Bamapito) weit verbreitete Praxis wird auch grilagem genannt. So kann das Land an einen Investor verkauft werden, der dann erklärt, nichts mit gewaltsamen Vertreibungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen zu tun zu haben.
• Pensionskassen haben Mindeststandards zum Kauf von Land entwickelt, die so genannten Prinzipien für verantwortliche Investitionen in Farmland. TIAA-Cref sowie die ÄVWL verweisen bei Kritik an ihrem Investitionsmodell auf diese Prinzipien. Die Landkäufe in Brasilien zeigen jedoch, dass diese Prinzipien ohne unabhängige Kontrollen und menschenrechtliche Mindeststandards, keine Aussagekraft haben.
Foreign Pension Funds and Land Grabbing in Brasil. Vollständiger Bericht.
Pensionskassen greifen nach Agrarland. FIAN Infografik (3. Grafik der Webseite).
Rendite ohne Reue? Bewertung der ÄVWL zu ihrer Investition (S.12f).