Der kommende Sonntag ist der 75. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der unter anderem das Recht auf Nahrung verankert ist. Prof. Michael Fakhri, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung, beschreibt in seinem Beitrag für FIAN aktuelle Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses grundlegenden Menschenrechts.
Herausforderungen für das Recht auf Nahrung
Der russische Angriff auf die Ukraine führte zu einem erneuten Schock für die Ernährungssysteme. Die Weltbank, der IWF, die WTO und das Welternährungsprogramm (WFP) warnten in einer gemeinsamen Erklärung, dass der Krieg die von der Pandemie ausgelöste Nahrungsmittelkrise weiter verschärft. Sie appellierten, den Handel mit Nahrungs- und Düngemitteln nicht einzuschränken. Dieser Aufruf zu gemeinsamem Handeln ist zu begrüßen. Die Erklärung konzentriert sich jedoch auf globalen Handel, Nothilfe und die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und verliert zentrale Herausforderungen aus dem Blick, mit denen die Ernährungssysteme konfrontiert sind.
Die Nahrungsproduktion in aller Welt wurden stark nach industriellen Modellen gestaltet: Man ging davon aus, dass Menschen, die industrielle Inputs wie Düngemittel und fossile Brennstoffe kaufen können, eine große Menge an Lebensmitteln produzieren. Die seit langem praktizierte Landwirtschaft, die in Kreisläufen produziert, wurde verdrängt. In der Konsequenz stößt die Nahrungsproduktion etwa ein Drittel aller Treibhausgase aus und trägt stark zum alarmierenden Rückgang von Tier- und Pflanzenarten bei.
Wenn nun also Produktionssteigerungen gefordert werden, ohne dass klar ist, um welche Art von Produktion und um welche Arten von Lebensmitteln es sich dabei handeln soll, besteht die Gefahr, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Denn trotz eines 300-prozentigen Produktionsanstiegs seit Mitte der 1960er Jahre ist Unterernährung noch immer weit verbreitet. Das Problem liegt nicht in unzureichenden Mengen, sondern in der Ungleichheit und anderen Hindernissen beim Zugang zu Nahrung.
Das Grundproblem besteht auch nicht darin, dass der Krieg den Landwirten den Zugang zu Düngemitteln verwehrt hat, sondern darin, dass so viele Landwirte überhaupt auf chemische Inputs angewiesen sind. Deren flächendeckender Einsatz kann zwar kurzfristig die Ernteerträge steigern, schafft aber langfristige Abhängigkeiten von Konzernen und Handelswegen. Chemische Düngemittel entziehen dem Boden Nährstoffe und schaden der Umwelt. Kurzfristig ist es daher wichtig, dass Düngemittel die Betriebe erreichen, deren Anbau hiervon abhängig ist. Das Ziel muss jedoch sein, sie so schnell wie möglich von dieser Abhängigkeit zu befreien.
Globale Märkte eine Ursache des Problems
Die internationalen Institutionen tragen eine zentrale Verantwortung dafür, wie die Märkte gestaltet und gesteuert werden. So rät die Weltbank den Ländern, ihre Agrarpolitik zu reformieren, um die Ernährungsunsicherheit und den Klimawandel zu bekämpfen. Doch die derzeitigen WTO-Regeln und die Geschichte bisheriger Verhandlungen machen derartige Änderungen sehr schwierig, vor allem für Entwicklungsländer.
Das World Food Programme hat sich auf humanitäre Hilfe konzentriert, aber nicht genug dafür getan, lokale und regionale Nahrungsmittelsysteme zu verbessern. Die Weltbank und der IWF wiederum haben den Nahrungs- und Landwirtschaftssektor unterstützt, allerdings mit einem Schwerpunkt auf marktorientierten Landreformen und die Deregulierung des Finanzsektors. Dies hat zu weiterer Instabilität und größerer Ernährungsunsicherheit geführt, insbesondere bei Kleinbauern und indigenen Völkern. Landraub in Entwicklungsländern und weitere Spekulationen wurden ermöglicht.
Der Krieg in der Ukraine ist der jüngste Schock für die Ernährungssysteme. Aber er ist nicht die zentrale Ursache für Hunger. Wie in den Jahren 2007 und 2010 besteht das Hauptproblem heute nicht nur in den Preisspitzen, sondern in Preisschwankungen. Zu lange wurden Lebensmittel wie eine Ware oder ein Finanzinstrument behandelt, mit dem spekuliert werden kann. Auch die Marktkonzentration auf den Lebensmittelmärkten ist zu hoch: Inmitten all dieses Leids steigern die Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft weiterhin ihre Gewinne.
Die internationalen Märkte sind eine Ursache für den Zusammenbruch der Lebensmittelsysteme. Das Kernproblem besteht darin, dass die derzeitigen Märkte Schocks nicht auffangen, sondern sie stattdessen verstärken. Die Preise liefern keine hilfreichen Informationen über Angebot und Nachfrage und spiegeln stattdessen die Marktmacht und die Ängste der Investoren wider.
Prof. Dr. Michael Fakhri ist Juraprofessor an der Universität von Oregon, wo er Menschenrechte und Handelsrecht lehrt. 2020 wurde er vom UN-Menschenrechtsrat zum Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung ernannt.