Vor zwei Jahren, am 22. April 2021 ist der Regionale Vertrag über den Zugang zu Informationen, über die Beteiligung der Öffentlichkeit und über die juristische Prüfung in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik (kurz: Abkommen von Escazú) in Kraft getreten. Für Menschenrechts- und Umweltorganisationen stellt das Abkommen einen Meilenstein dar. Denn es garantiert Betroffenen von Großprojekten nicht nur weitreichende Informations- und Mitbestimmungsrechte sowie den Zugang zur Justiz. Das Abkommen ist zudem weltweit das erste, das spezifische und rechtsverbindliche Ausführungen über den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen in Umweltfragen enthält. Die Umsetzung des Abkommens sowie die aktive Beteiligung der Länder und Bürger*innen an seinen Prozessen sind jedoch noch lange nicht abgeschlossen.
Der Grundstein des Escazú-Abkommens wurde 2012 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro gelegt, bevor es im Jahr 2018 von der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) bei einem Treffen im costa-ricanischen Escazú verabschiedet wurde. Passend zum internationalen Tag der Mutter Erde (zurückgehende auf eine Resolution der UN Generalversammlung 2009) trat der Vertrag schließlich am 22. April 2021 in Kraft. Das Escazú-Abkommen steht allen 33 lateinamerikanischen und karibischen Ländern offen. 25 Staaten haben es inzwischen unterzeichnet. Allerdings wurde das Abkommen bisher nur von 15 Ländern auch ratifiziert, was die Vorrausetzung darstellt, damit die Inhalte des Abkommens völkerrechtlich bindend sind und Wirksamkeit entfalten können.
Die Länder, die das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert haben, sind Antigua und Barbuda, Argentinien, Bolivien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Mexiko, Nicaragua, Panama, Uruguay, St. Kitts und Nevis, St. Vincent und die Grenadinen sowie St. Lucia.
Die vier Säulen von Escázu
Mit dem Abkommen wird ein gemeinsamer regionaler Rechtsrahmen geschaffen, dessen vier Elemente neue Formen nachhaltiger Entwicklung in Lateinamerika ermöglichen sollen:
Erstens garantiert das Abkommen betroffenen Gemeinden den Zugang zu umweltrelevanten Informationen. Diese müssen auch in lokalen Sprachen und in verständlicher Form zugänglich sein.
Zweitens definiert das Abkommen neue und weitgreifende Regelungen zu Partizipationsverfahren der Zivilgesellschaft bei sie betreffenden Investitionen.
Drittens sieht das Abkommen umfassende Klagerechte für Betroffene von Umweltkonflikten vor. Hierzu sollen die Staaten ein spezialisiertes Justizwesen mit qualifiziertem Personal zu Umweltfragen aufbauen. Bei diesen Umweltgerichtshöfen gilt dabei die Beweisumkehr – d.h. nicht mehr Betroffene müssen einen Umweltschaden nachweisen, sondern angeklagte Unternehmen müssen darlegen, dass sie die geschilderten Umweltprobleme nicht verursacht haben.
Viertens verpflichtet das Abkommen Staaten dazu, besondere Mechanismen für Umweltaktivist*innen zu etablieren, um sie vor Bedrohungen und Einschüchterungen zu schützen. Die Schutzpflicht gegenüber Journalist*innen, Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen ist dabei nicht nur reaktiv und greift bei akuten Bedrohungssituationen von Leib und Leben. Escazú verpflichtet den Staat zudem zu einer Präventionspolitik, damit es erst gar nicht erst zu Drohungen kommen kann. Demnach ist der Staat z.B. verpflichtet mediale Desinformations- und Hetzkampagnen gegen Aktivist*innen zu unterbinden.
Insbesondere der letzte Aspekt macht Escázu zu einem global einzigartigen Instrument, da es nicht nur versucht die „Mutter Erde“ zu schützen, sondern auch diejenigen, die sich oft unter Einsatz des eigenen Lebens für eine intakte Umwelt, den Erhalt von Wäldern und für sauberes Wasser engagieren. Hierdurch werden in dem Abkommen die direkten Bezüge zwischen Umweltschutz und der Wahrnehmung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte gestärkt.
Die Bedeutung für Lateinamerika
Für Lateinamerika und die Karibik – ist das Abkommen eine große Chance für mehr Menschenrechtsschutz und Umweltgerechtigkeit. Schließlich handelt es sich nach wie vor um die mit Abstand gefährlichste Region auf dem Planeten für Umweltaktivist*innen. Laut dem jüngsten Bericht der NRO Global Witness fanden mehr als drei Viertel der Angriffe auf Umweltschützer*innen im Jahr 2021 in Lateinamerika statt. Insgesamt zählt der Bericht in Lateinamerika mehr als 1200 Morde im letzten Jahrzehnt. Wenig verwunderlich ist, dass dabei Vertreter*innen Indigener Völker überdurchschnittlich stark betroffen sind. Denn der Hintergrund der meisten Morde sind laut Global Witness Konflikte um Land und Bergbau, wobei territoriale Rechte Indigener, aber auch afrodeszendenter und bäuerlichen Bevölkerungsgruppen immer wieder missachtet werden.
Honduras: Druck der Zivilgesellschaft
Honduras gehört zu den Ländern, die das Escazú-Abkommen bisher nicht unterzeichnet haben. Dabei gab es in der jüngeren Vergangenheit wenige Länder, in denen Umwelt- und Menschenrechte so stark mit Füßen getreten wurden, wie in dem zentralamerikanischen Staat. So gibt es aktuell in Honduras deutlich über 100 laufende Konzessionen für Bergbau-, Energie- und Kohlenwasserstoffproduktion, in denen nachweislich indigene und afrodeszente Landnutzungsrechte übergangen wurden. An der Karibikküste bedrohen international finanzierte Privatstadtprojekte, sogenannte ZEDES (Zone für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung) die natürlichen Lebensgrundlagen von Garífuna-Gemeinden. Im Golf von Fonseca, wo FIAN Fischereigemeinden im Kampf gegen Umweltzerstörung und Entwaldung unterstützt, fallen pro Jahr knapp 300 Hektar Mangrovenwald dem Ausbau aquaindustrieller Garnelenfarmen zum Opfer. Auch mit der neuen Regierung konnte die Bedrohungslage für Aktivist*innen nicht aufgehoben werden. Alleine in den ersten drei Monaten dieses Jahres sind in Honduras acht Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen ermordet worden.
Die Ratifizierung des Escazú-Abkommens wäre dahingehend ein bedeutsamer Schritt. „In dem Abkommen geht es um ein ganzheitliches Verständnis nachhaltiger Entwicklung, die mit einer größeren Transparenz und Rechenschaftspflicht bei staatlichen Entscheidungen einhergeht. Escazú bedeutet Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit, der Ernährung und des Zugangs zu Wasser sowie anderen Rechte zu gewährleisten.“, so das honduranische Netzwerk für Escazú (Red Hondureña por Escazú). Bei dem Netzwerk handelt es sich um einen Zusammenschluss von 32 Organisationen aus der Zivilgesellschaft, darunter FIAN Honduras, das sich gegenüber dem honduranischen Staat für die Ratifizierung des Abkommens. „Wir möchten das Honduras als eines der Länder, die den Umweltschutz fördern, auf der touristischen Landkarte erscheint.“, so eine Sprecherin des Netzwerks.
Deutschland und die EU müssen Escazú fördern
Auch für Deutschland und Europa ist das Abkommen in Anbetracht vielfältiger Rohstoff- und Agrarlieferketten aus Lateinamerika bedeutsam. In diesem Zusammenhang hatten letztes Jahr 138 Organisationen, darunter FIAN Deutschland, die Europäische Kommission in einem offenen Brief aufgefordert, die umweltbezogenen Teilhaberechte des lateinamerikanischen Abkommens von Escazú im Europäischen Lieferkettengesetz als verpflichtende Norm aufzunehmen. Zudem liegt es auch in der Verantwortung Deutschlands die lateinamerikanischen Staaten auf die Notwendigkeit der Ratifizierung hinzuweisen und die konkrete Implementierung des Abkommens konstruktiv zu begleiten. Die anstehenden Regierungsverhandlungen mit Brasilien eröffnen dazu die nächste Möglichkeit.
Für weitere Informationen und Rückfragen stehen unsere Lateinamerika- Referent*innen zur Verfügung:
Marian Henn, m.henn@fian.de
Almudena Abascal, a.abascal@fian.de