Betreff: Eine geschlechtergerechte und effektive Regulierung zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit gewährleisten
Sehr geehrte Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen,
Sehr geehrte Vizepräsidentin Vera Jourová,
Sehr geehrter Kommissar Thierry Breton,
Sehr geehrte Kommissarin Helena Dalli,
Sehr geehrter Kommissar Didier Reynders,
Sehr geehrte Mitglieder des Parlaments,
Sehr geehrte Vertreter des Rates der Europäischen Union,
Am 8. März haben wir den Internationalen Frauentag gefeiert und all jene Frauen gewürdigt, die sich weltweit für Menschenrechte und Umwelt einsetzen – Frauen, die an vorderster Front gegen Diskriminierung und Ungleichheit kämpfen und sich auch wirtschaftlichen Akteuren gegenüber für den Schutz von Umwelt-, Land- und indigenen Rechten einsetzen. Wir haben zudem auf die Gewalt und Diskriminierung hingewiesen, der Frauen aufgrund ihres Geschlechts in der Arbeitswelt ausgesetzt sind.
Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit[1], welcher am 23. Februar von der Europäischen Kommission angenommen wurde, legt Regeln für die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards in globalen Wertschöpfungsketten fest. Wir, die unterzeichnenden Organisationen, begrüßen diesen lang erwarteten Schritt und sind der festen Überzeugung, dass es höchste Zeit ist, dass Unternehmen Menschenrechte und die Umwelt achten und sie für die Folgen ihrer Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Trotz seines wegweisenden Potenzials ignoriert der Kommissionsvorschlag Geschlechterfragen und läuft Gefahr, die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen zu vernachlässigen.
Der vorliegende Text erkennt die Tatsache nicht an, dass Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen unterschiedliche Auswirkungen auf marginalisierte Personen und Gruppen haben, dazu gehören auch Frauen und Mädchen. Dies ist eine große Enttäuschung, da bereits im November 2021 mehr als 60 Organisationen an die Europäische Kommission geschrieben und sie aufgefordert haben sicherzustellen, dass der kommenden Richtlinienvorschlags geschlechtergerecht ausgestaltetet ist[2] und sich an der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter und dem dritten Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter (GAP III) orientiert.
Geschlechterspezifische Folgen für Frauen treten in allen Wirtschaftsbranchen auf[3], von der Rohstoffgewinnung über das verarbeitende Gewerbe und die Landwirtschaft bis hin zum Beherbergungsgewerbe, dem Lebensmittelhandel[4] oder der Textilindustrie[5]. Diese besondere Betroffenheit überschneidet sich häufig mit anderen Formen der Diskriminierung. Viele Frauen werden zusätzlich etwa aufgrund von Ethnizität, Alter, Klasse, Kaste, Migrationsstatus, geschlechtlicher Identität und anderer Faktoren diskriminiert.
Geschlechtergerechte Sorgfaltspflichten und unternehmerische Rechenschaftspflicht werden daher dringend benötigt, um diese tiefliegenden Ungleichheiten angemessen zu anzugehen.
Geschlechtergerechtigkeit muss in allen Schritten des Sorgfaltspflichten-Prozesses berücksichtigt werden. Erfolgt dies nicht, geraten die spezifischen Risiken und zusätzlichen Hürden für Frauen und andere vulnerable Gruppen aus dem Blick.
Zudem müssen die Hindernisse beim Zugang zu Recht abgebaut werden, denn ansonsten wird es den betroffenen Frauen und Mädchen auch weiterhin nicht möglich sein, sich zu wehren und Wiedergutmachung einfordern.
Wir fordern die politischen Entscheidungsträger*innen dazu auf, die folgenden Nachbesserungen vorzunehmen, während dieser sich seinen Weg durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union bahnt. Nur so kann eine geschlechtergerechte Regelung gewährleistet werden:
- Im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) und den OECD-Leitlinien sollte die Richtlinie anerkennen, dass Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht den tatsächlichen und potenziellen negativen Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf marginalisierte oder vulnerable Gruppen besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. Die Unternehmen sollten auch die unterschiedlichen Risiken berücksichtigen müssen, denen Frauen und Männer ausgesetzt sein können[6]; da Frauen und Menschen mit unterschiedlichen geschlechtlichen Identitäten mit geschlechtsspezifischen Auswirkungen konfrontiert sind;
- Die Liste an Rechten, Verboten und Übereinkommen, die der Annex zur Definition der „negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte“ vorsieht, ist unzureichend, insbesondere um Verletzungen der Rechte von Frauen durch Unternehmen zu verhindern oder Abhilfe zu schaffen. Es muss eindeutig sein, dass dieser Annex nicht erschöpfend ist. Zudem sollte die Liste in Teil I um weitere Verstöße und Verbote ergänzt[7] werden und in Teil II sollten weitere wichtige Übereinkommen hinzugefügt werden[8];
- Der Geltungsbereich muss so erweitert werden, dass alle Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt verpflichtet werden. Außerdem sollten all diese Unternehmen dazu verpflichtet werden, alle gefährdenden Auswirkungen ihres Handelns zu identifizieren. Die derzeitige Unterscheidung, wonach Unternehmen aus sogenannten High-Impact Sektoren ihre Ermittlung auf „schwerwiegende negative Auswirkungen“ beschränken dürfen, anstatt all ihre Auswirkungen zu erfassen, ist nicht gerechtfertigt. Sie widerspricht nicht nur internationalen Standards, sondern ist auch kontraintuitiv, da gerade diese Sektoren diejenigen sind, in denen das Risiko negativer Auswirkungen am höchsten ist, in denen Frauen am stärksten vertreten sind[9] und in denen daher der dringendste Handlungsbedarf besteht.
Die Sorgfaltspflichten, so wie sie im Richtlinienvorschlag beschrieben werden, müssen an mehreren Stellen ergänzt werden, um ein geschlechtergerechtes Vorgehen zu gewährleisten. Dazu gehören die folgenden Aspekte:
- Die unternehmerische Sorgfaltspflicht muss die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Der Begriff der „etablierten Geschäftsbeziehung“ muss gestrichen werden, da er die Gefahr birgt, dass der Geltungsbereich der Verpflichtung nur auf die engsten, formellen und dauerhaften Zulieferbetriebe beschränkt wird. Eine solche Einschränkung würde bedeuten, dass eine ganze Reihe von Tätigkeitsfeldern unberücksichtigt bleiben, in denen Frauen überproportional vertreten sind. Zu diesen Tätigkeitsfeldern zählen halbformale und informelle Arbeitsverhältnisse ebenso wie inoffizielle Unteraufträge und Heimarbeit;
- Die Unternehmen müssen verpflichtet werden, in jedem Schritt der Sorgfaltspflicht Betroffene und insbesondere vulnerable und marginalisierte Personen, Gemeinschaften und Vertreter*innen einzubeziehen. Die Einbindung von Stakeholdern und Beschwerdemechanismen müssen geschlechtergerecht ausgestaltet sein[10]. Darüber hinaus sollte der Schutz von Whistleblower*innen (Artikel 23) auf alle Menschenrechtsverteidiger*innen ausgeweitet werden, insbesondere wenn sie außerhalb der EU leben, wo ihre Gefährdung besonders groß ist[11];
- Die Identifikation von Risiken und das Überprüfen von Tätigkeiten und Maßnahmen müssen geschlechtersensible menschenrechtliche und umweltbezogene Wirkungsanalysen und Indikatoren beinhalten, unter anderem durch das Erheben und Verwenden aufgeschlüsselter Daten (etwa nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Migrationsstatus und anderen Risikofaktoren). Die Unternehmen müssen zudem verpflichtet werden, ihre Wertschöpfungskette und Geschäftsbeziehungen zu dokumentieren und offenzulegen;
- Um sicherzustellen, dass die Ziele der vorgeschlagenen Richtlinie erreicht werden, muss die beschriebene Sorgfaltspflicht über bloße Verfahrensbestimmungen hinausgehen. Der Text muss deutlich machen, dass die Unternehmen verpflichtet sind, Menschenrechte und Umwelt zu achten. Dies muss aus Artikel 1 bezüglich der Zielsetzung der Richtlinie und Artikel 4 zur Sorgfaltspflicht eindeutig hervorgehen. Außerdem müssen die Unternehmen verpflichtet werden, eine detaillierte und qualitative Bewertung und Evaluierung der Maßnahmen vorzunehmen, die zur Prävention und Minimierung tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen ergriffen werden. Dabei sind Frauen und Mädchen wie auch andere marginalisierte Gruppen besonders zu berücksichtigen, etwa im Rahmen einer sicheren und sinnvollen Konsultation mit den Betroffenen;
- Es muss klargestellt werden, dass die Auswirkungen von Einkaufspraktiken und Geschäftsmodellen integraler Bestandteil der unternehmerischen Sorgfaltspflicht sind. Ungerechte Einkaufspraktiken, etwa in Bezug auf Kosten oder Zeitpläne, haben direkte und überproportionale Auswirkungen auf Frauen (niedrige Löhne und Einkommen, unsichere Arbeitsbedingungen, ausbeuterische Unteraufträge);
- Die unternehmerische Verpflichtung, Schäden zu beheben, sowie Bestimmungen, die Geschädigten den Zugang zu Recht und Gerichten sowie außergerichtlicher Abhilfe erleichtern, müssen explizit aufgeführt werden. Die zur Verfügung gestellten Entschädigungen müssen über eine finanzielle Entschädigung hinausgehen (Artikel 8.3.(a))[12] und den Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen Rechnung tragen. Sie müssen daher in Absprache mit den Rechteinhaber*innen gestaltet und beschlossen werden. Ein besonderer Fokus sollte auf die Überwindung der Hindernisse gelegt werden, die Frauen und marginalisierten Gruppen den Zugang zu Recht und Gerichten erschweren. Auch muss garantiert werden, dass alle Verfahren unparteiisch, sicher und frei von unzulässiger Einflussnahme erfolgen;
- Um den Zugang zu Recht und Gerichten zu erleichtern, sollten Regelungen zu einer gerechten Verteilung der Beweislast, der Reduktion von Verjährungsfristen, der Möglichkeit von Kollektivklagen und Prozessstandschaft in der Richtlinie enthalten sein.
Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit stellt eine einzigartige Chance dar, geschlechtsspezifische Ungleichheiten und Diskriminierung in globalen Wertschöpfungsketten zu bekämpfen. Wir fordern Sie auf, diese Chance zu ergreifen und den Text entsprechend nachzubessern, um sicherzustellen, dass die Richtlinie ihr Versprechen und ihr Potenzial erfüllt.
Mit freundlichen Grüßen,
Die unterzeichnenden Organisationen:
- ActionAid International
- AK EUROPA
- Amigas de la Tierra (Spain)
- Anti-Slavery International
- Arisa
- ASTM
- Asociación de investigación y Especialización sobre Temas Iberoamericanos
- Asociación por la Paz y los Derechos Humanos Taula per Mèxic
- Avocats Sans Frontières
- Broederlijk Delen
- Brot für die Welt
- Business & Human Rights Resource Centre
- Cambodian Center for Human Rights (CCHR)
- Campagna Abiti Puliti
- CARE International
- CNCD-11.11.11
- Christian Aid Ireland
- Christian Initiative Romero
- CIDSE
- Clean Clothes Campaign
- CooperAcció
- CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung
- Corporate Justice Coalition
- cum ratione gGmbH
- Development Projects for Women – Marie-Schlei-Verein
- Diakonia
- Entraide et Fraternité
- European Trade Union Confederation (ETUC)
- European Coalition for Corporate Justice – ECCJ
- EU-LAT Network
- European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
- EZA Fairer Handel GmbH
- Fair Finance International
- Fair Trade Advocacy Office
- Fairtrade International
- FAIRTRADE Österreich
- FEMNET e.V.
- FIAN Germany
- Focus Association for Sustainable Development
- FOKUS – Forum for Women and Development
- Forum Fairer Handel
- Friends of the Earth Europe
- Foro Ciudadano de Participación por la Justicia y los Derechos Humanos FOCO.INPADE Argentina
- ForumCiv
- Fundacion Alboan
- Global Policy Forum
- Global Witness
- Grupo belga Solidair met Guatemala
- Human Rights Without Frontiers
- International Dalit Solidarity Network
- IM Swedish development partner
- INKOTA-Netzwerk
- International Federation for Human Rights (FIDH)
- International Justice Mission Germany
- International Service for Human Rights
- Irish Coalition for Business and Human Rights
- Jamaa Resource Initiatives, Kenya
- KOLPING International
- Lady Lawyer Foundation
- Les Amis de la Terre – Belgique
- Manushya Foundation, Thailand
- Milieudefensie – Friends of the Earth Netherlands
- Oxfam International
- PICUM (Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants)
- Project Organising Development Education and Research (PODER)
- Protection International (PI)
- Rainforest Alliance
- Red europea de comité Oscar Romero
- ShareAction
- Centre for Research on Multinational Corporations – SOMO
- Stichting IUCN Nederlands Comité
- Südwind (Austria)
- Swedish Fellowship Of Reconciliation
- Swedwatch
- TERRE DES FEMMES e.V.
- Trócaire
- We Effect
- Women Engage for a Common Future – WECF International
- Women’s International League for Peace and Freedom
- Workers Assistance Center,Inc., Philippines
- World Organisation Against Torture (OMCT)
- WSM
___
[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52022PC0071&qid=1648567700136
[2] https://corporatejustice.org/wp-content/uploads/2021/11/OPEN-LETTER-Urgent-request-to-ensure-a-gender-responsive-SCGD.pdf
[3] ActionAid ‘We mean business’ https://actionaid.nl/wp-content/uploads/2020/02/We-Mean-Business-Protecting-Womens-Rights-in-Global…
[4] Oxfam, Not in this together, 2021 https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/621194/bp-not-in-this-together-2206…
[5] Clean Clothes Campaign, Fashioning justice, 2021, https://cleanclothes.org/news/2021/fashioning-justice
[6] Zu diesem Zweck haben die UN und die OECD spezifische Richtlinien zur Integration einer geschlechtergerechten Perspektive in den Sorgfaltspflichten-Prozess entwickelt.
[7] Zum Beispiel Artikel 1 und 2 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und Artikel 3 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, die beide die Wahrnehmung der in den Pakten genannten Rechte ohne Diskriminierung zwischen Männern und Frauen garantieren.
[8] Darunter auch das ILO Übereinkommen 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt und die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen.
[9] Frauen haben einen Anteil von 80% an der Gesamtheit aller im Textilsektor beschäftigten Arbeiter*innen; 37% der Arbeiter*innen in der Landwirtschaft sind Frauen, die aufgrund geringeren Eigentums an und Kontrolle über Land und natürliche Ressourcen überproportional von Menschenrechtsverletzungen wie land grabbing betroffen sind.
[10] https://media.business-humanrights.org/media/documents/files/documents/FEMINISTS_CONTRIBUTIONS_TREATY.pdf
[11] 2020 waren 13% der 331 weltweit getöteten Menschenrechtsaktivist*innen Frauen; die meisten dieser ERmodungen standen im Zusammenhang mit unternehmerischen Aktivitäten.
[12] Abhilfe kann in Form von Entschuldigungen, Rückerstattungen, Rehabilitierung, finanzieller oder anderweitiger Entschädigung oder Strafmaßnahmen (strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie Geldbußen) geleistet werden, sowie in Form der Verhinderung künftiger Schäden, etwa durch Unterlassungsklagen oder -garantien.