GENF (13. Oktober 2021) – Der UN-Menschenrechtsausschuss stellte in einer bahnbrechenden Entscheidung fest, dass Paraguay versäumte, die toxische Verseuchung von traditionellem Land zu verhindern und zu kontrollieren.
Durch die intensive Pestizidnutzung in der Nähe liegender kommerzieller Farmen, seien die Rechte der indigenen Gemeinschaft und ihr Gefühl von „Heimat“ verletzt worden. Die Entscheidung des Ausschusses geht auf eine Beschwerde zurück. Eingereicht hatten diese der gewählte Gemeindevorsteher und ein Lehrer der Gemeindeschule im Namen aller 201 Ava Guarani der indigenen Gemeinschaft Campo Agua’e im östlichen Bezirk Curuguaty.
Es ist die erste Entscheidung des Ausschusses, die bekräftigt, dass der Begriff „Heimat“ im Falle indigener Völker im Kontext der besonderen Beziehung zwischen ihnen und ihren Gebieten verstanden werden sollte. Das schließt ihr Vieh, ihre Ernten und ihre Lebensweise wie Jagen, Sammeln und Fischen mit ein.
„Für indigene Völker stellt ihr Land ihre Heimat, Kultur und Gemeinschaft dar. Schwere Umweltschäden haben schwerwiegende Auswirkungen auf das Familienleben, die Traditionen und die Identität indigener Völker und führen sogar zum Verschwinden ihrer Gemeinschaft. Die Existenz der Kultur der Gruppe als Ganzes wird dadurch dramatisch beeinträchtigt“, meint Ausschussmitglied Hélène Tigroudja.
Die indigene Gemeinschaft Campo Agua’e lebt in einem Gebiet, das eng von großen kommerziellen Farmen umgeben ist. Diese setzen zur Produktion von gentechnisch veränderten Sojabohnen die sogenannte „Begasung“ ein – ein Verfahren, bei dem chemischer Rauch zur Abtötung von Schädlingen genutzt wird. Bei der Begasung werden seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen verbotene Agrochemikalien verwendet. Durch diese wurden Hühner und Enten der indigenen Gemeinschaft getötet, Subsistenzkulturen und Obstbäume geschädigt, Jagd-, Fischerei- und Futterressourcen beeinträchtigt, Wasserwege verseucht und die Gesundheit der Menschen geschädigt. Die verursachten Umweltschäden hatten zusätzlich schwerwiegende immaterielle Auswirkungen. Das Verschwinden der natürlichen Ressourcen, die für die Jagd, den Fischfang, die Nahrungssuche im Wald und die Agrarökologie der Guarani benötigt werden, führte zum Verlust des traditionellen Wissens; Strukturen der indigenen Gemeinschaft werden aufgelöst, da die Familien gezwungen sind, ihr Land zu verlassen.
Nach langwierigen und unbefriedigenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren in Paraguay brachte die Gemeinschaft ihren Fall vor den UN-Menschenrechtsausschuss.
Der Ausschuss entscheidet: „Mehr als 12 Jahre, nachdem die Opfer ihre Strafanzeige wegen der Begasung mit giftigen Agrochemikalien eingereicht haben, denen sie während dieser Zeit weiterhin ausgesetzt waren, sind die Ermittlungen nicht nennenswert vorangekommen, und der Vertragsstaat hat die Verzögerung nicht gerechtfertigt“. Er stellte ferner fest, dass Paraguay die Begasung nicht angemessen überwacht hat und es versäumt hat, eine Kontamination zu verhindern. „Dieses Versäumnis bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht ermöglichte die Fortsetzung der groß angelegten, illegalen Begasung über viele Jahre hinweg, was wiederum alle Bestandteile des Familienlebens und die Heimat der indigenen Bevölkerung zerstörte“, so der Ausschuss weiter.
Er empfahl Paraguay, die Straf- und Verwaltungsverfahren gegen alle Verantwortlichen abzuschließen und die Opfer in vollem Umfang zu entschädigen. In enger Absprache mit der Gemeinschaft sollten alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Umweltschäden zu beheben. Außerdem sollten weitere Schritte unternommen werden, damit ähnliche Verstöße in Zukunft vermieden werden.
Die Entscheidung enthält darüber hinaus eine individuelle Stellungnahme von drei Mitgliedern des Ausschusses. Sie stimmen mit der Entscheidung überein, berücksichtigen jedoch, dass nicht nur Artikel 17 (Recht auf privates Leben) und 27 (Recht auf kulturelles Leben), sondern auch Artikel 6 (Recht auf Leben) des UN-Zivilpakts verletzt wurden.
Dieser Vorfall in Paraguay ist kein Einzelfall: Schon im Jahr 2019 hat FIAN über einen Fall berichtet, in dem das UN-Gremium dem paraguayischen Staat die Schuld an schweren Pestizidvergiftungen gab.