Die Ausbreitung von Covid-19 hat die Krise im Agrarsektor von Ecuador weiter verschärft. Hunger, Unterernährung und Armut weiten sich aus. Berichte aus zwei Gemeinden in der Provinz Guayas verdeutlichen den täglichen Kampf um den Zugang zu Nahrung.
FIAN Ecuador hat Stimmen von Betroffenen gesammelt und fordert Hilfe für die ländlichen Gebiete. Schon zuvor hatte der UN-Sozialausschuss die ecuadorianische Regierung aufgefordert, die Bekämpfung von Unterernährung als nationale Priorität einzustufen.
Ende April veröffentlichte FIAN Ecuador eine Erklärung zu den kritischen Lebensbedingungen von Kleinbäuer*innen in Ecuador. Der Covid-19-Notstand hat schwerwiegende ökonomische und gesundheitliche Folgen. Hunger, Unterernährung und Armut sind rasant angestiegen.
Ein Beispiel ist die Provinz Guayas, Epizentrum der Krise in Ecuador und ganz Südamerika: offiziellen Quellen zufolge entfallen mehr als zwei Drittel aller bestätigten Corona-Fälle auf dieses Gebiet. Die von FIAN unterstützte Kleinbäuer*innenorganisation Union Tierra y Vida besuchte drei Gemeinden im Bezirk Durán. Die Provinz wurde enorm von der Pandemie getroffen: Laut lokalen Presseberichten ist die Zahl der Todesopfer im April 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 7.000 angestiegen (April 2019: 1.862; April 2020: 9.101 Tote). Angaben zu den Todesursachen liegen nicht vor, der Anstieg ist jedoch eklatant. Bei vielen älteren Menschen, die das Rückgrat des Agrarsektors in Ecuador darstellen, wurden Traumata registriert.
Die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona haben sich negativ auf die Mobilität der Bäuer*innen ausgewirkt. Die Regierung bot denjenigen, die mit landwirtschaftlichen Gütern handeln, zwar Transportgenehmigungen an, Voraussetzung ist jedoch eine vorherige Online-Registrierung beim Servicio de Rentas Internas (Finanzamt). Ein Zugang zum Internet ist oftmals nicht vorhanden. Die Schwierigkeit, ihre landwirtschaftlichen Produkte zu transportieren und auf Märkten zu verkaufen, hat zu starken Einkommensverlusten geführt. Viele sind für den Verkauf ihrer Produkte auf Zwischenhändler*innen angewiesen, da diese über eigene Transportmittel verfügen und Zugang zu den Märkten in den Städten besitzen.
In der Gemeinde Los Ángeles im Bezirk Durán erleben die Bauern die Zeit der Abriegelung in einem Zustand wirtschaftlicher und gesundheitlicher Unsicherheit und mit einem Gefühl der Ausgrenzung. Die in der Gemeinde ansässigen Vereinigungen Unidos Venceremos und Ni un Paso Atras berichten, dass die Ernten nicht für eine angemessene Versorgung ausreichen. Eine weitere wichtige Tätigkeit ist der Fischfang im Fluss Guayas. Aufgrund der Corona-Maßnahmen dürfen die Familien jedoch nicht fischen und auch nicht mehr auf den Markt gehen. Die Familien haben somit kaum Geld und damit nur eingeschränkte Möglichkeiten, Lebensmittel zu kaufen. Was den Reisanbau betrifft, so hoffen die Bäuer*innen, dass dieser demnächst geerntet werden kann. Aufgrund der Abriegelung, der Angst vor Ansteckung und des Geldmangels wurde die Feldarbeit jedoch vernachlässigt.
Ähnliche Bedingungen wurden beim Bauernverband La Fe del Campesino beobachtet, der ca. 30 Min. von der Stadt Guayaquil entfernt liegt. Die Vereinigung unterstützt bäuerliche Familienbetriebe. In der Gemeinde pflanzen die Menschen Tomaten, Gurken, Bohnen, Mais, Mangos, Gemüse und Kräuter für den Eigenbedarf an. Normalerweise werden die Produkte auch auf umliegenden Märkten verkauft. Aber die Abriegelung und die Angst vor Ansteckung haben auch hier die Mobilität und damit die Fähigkeit, Waren zu verkaufen, eingeschränkt. Laut dem Vorsitzenden Rocío Gonzales Batalla ist das Einkommen der Bäuer*innen sehr gering. Vielerorts reicht es kaum aus, um Lebensmittel zu kaufen. Zwischenhändler*innen haben die Gemeinde besucht, jedoch nur einen geringen Geldbetrag für landwirtschaftlichen Güter geboten.
Der Zugang zu Wasser ist ebenfalls problematisch. Es fehlt an Wasser für die Bewässerung der Felder und für den privaten Gebrauch. Die Bäuer*innen müssen bis zu sieben Kilometer zu Fuß gehen, um Wasser an einer Tankstelle zu holen. Dieses muss abgekocht werden, damit es zum Kochen oder Trinken verwendet werden kann. In Los Ángeles ist der Zugang zu Wasser nur auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses möglich. Das Wasser wird in der Regel mit Tankwagen in die Gemeinde transportiert, aber nach Angaben des Präsidenten von Unidos Venceremos ist die Wasserqualität nicht gut.
In beiden Fällen wird die mangelnde Präsenz und Unterstützung der Regierung deutlich. Die Bäuer*innen berichten, dass sie von den Behörden keine Schutzkleidung, Desinfektionsmittel oder Medikamente erhalten. Zwar soll es für hilfsbedürftige Familien einmalig 60 Dollar vom Staat geben; auch diese Unterstützung muss jedoch online beantragt werden und kommt bei den Betroffenen oft nicht an.
Ende 2019 prüfte der UN-Sozialausschuss die menschenrechtliche Situation in Ecuador. Die Empfehlungen vom Ausschuss an die ecuadorianische Regierung nehmen Bezug auf Unterernährung und die Situation von Kleinbäuer*innen, z.B. beim Zugang zu Saatgut. Hierzu gehört die Empfehlung, die Bekämpfung von Unterernährung als nationale Priorität anzuerkennen und eine umfassende Politik zur Bekämpfung der Unterernährung mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen einzustufen. Weiterhin fordert der Ausschuss, dass der Staat Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums von Bäuer*innen ergreift, einschließlich des Schutzes ihrer Rechte auf Nutzung, Tausch und Verkauf ihres Saatguts.
Angesichts der dramatischen Zustände im Agrarsektor Ecuador unterstützt FIAN Deutschland die ecuadorianische FIAN-Sektion dabei, die Marginalisierung und die prekären Lebensbedingungen der kleinbäuerlichen Bevölkerung in die Öffentlichkeit zu bringen. FIAN fordert die Regierung von Ecuador auf, Kleinbäuer*innen wirksam zu unterstützen.
(Flavia Marà)