Abschlussbericht der UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Nahrung
In ihrem abschließenden Bericht an den UN-Menschenrechtsrat blickt Dr. Hilal Elver auf ihre sechsjährige Tätigkeit als Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung zurück. Elver stellt fest: die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung ist und bleibt für viel zu viele Menschen weit entfernt. Das Ziel, bis zum Jahr 2030 Hunger und Mangelernährung auf Null zu reduzieren, sei jedoch noch erreichbar. Die Staaten müssten hierfür die Menschenrechtsinstrumente konsequent nutzen und alle Akteure – nicht nur die Mächtigen – in die Entscheidungsprozesse einbeziehen. Die Welt muss sich daran erinnern, dass das Menschenrecht auf Nahrung nicht unerreichbar, sondern bislang nur unerfüllt ist (Absatz 91).
Während ihrer Amtszeit lag der Fokus von Hilal Elver auf den 113 Millionen akut von Hungersnot (und Hungertod) bedrohten Menschen. Weitere Schwerpunkte der Arbeit waren die aufgrund von Geschlecht und/oder ethnischer Identität diskriminierten Bevölkerungsgruppen, die ungleiche Verteilung von Ressourcen, die Ausbeutung von Beschäftigten in der Landwirtschaft, die Zunahme der Produktion in Monokulturen und der Verlust der Nahrungsvielfalt durch den Klimawandel (Absatz 1). Zur Bedrohung des Rechts auf Nahrung durch die Erderhitzung hatte Elver auch einen Beitrag für FIAN verfasst.
Hilal Elver kritisiert die gravierenden Nachteile des vorherrschenden industriellen Landwirtschaftsmodells, das zu Nahrungsmittelverlusten und -verschwendung, Tierquälerei, Treibhausgasemissionen, Verschmutzung der Ökosysteme sowie der Zerstörung traditioneller bäuerlicher Gemeinden führt. Die Menschenrechte derjenigen, die wesentlich an den Ernährungssystemen beteiligt sind, wie Landarbeiter*innen, Kleinbäuer*innen und Verbraucher*innen, werden oft ignoriert oder verletzt. (Absatz 6)
Kleinbäuer*innen werden durch geistige Eigentumsrechte unverhältnismäßig stark benachteiligt. Kleinproduzent*innen in Entwicklungsländern können oft nicht mit subventionierten Produkten aus Industrieländern konkurrieren. Lokale Märkte brechen zusammen, und die Marktmacht konzentriert sich in den Händen einiger weniger Akteure. So kontrollieren vier multinationale Agrounternehmen über 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarkts. Lokale Märkte werden von subventionierten, verarbeiteten Lebensmitteln überschwemmt, die zur Verbreitung von Mangelernährung beitragen (Absatz 31 + 81).
80 Prozent der ärmsten Menschen der Welt leben und arbeiten in ländlichen Gebieten. Obwohl sie mehr als 70 Prozent des lokalen Nahrungsmittelbedarfs abdecken, werden Kleinbäuer*innen häufig vertrieben oder vom Marktzugang abgehalten (Absatz 7 + 8+ 10 + 14). Diejenigen, die für ihre Ernährung und ihre Lebensgrundlage direkt vom Agrarsektor abhängig sind, sind besonders verwundbar. Ungleichheiten werden dabei aufgrund von Geschlecht, Alter, Region, Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und Migrationsstatus noch verschärft: so stellen Frauen fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in Entwicklungsländern, besitzen aber weniger als 13 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (Absatz 76). Indigene Völker sind Hüter von 80 Prozent der noch vorhandenen biologischen Vielfalt, sind jedoch von gravierender Ernährungsunsicherheit, extremer Armut und anderen Menschenrechtsverletzungen betroffen (Absatz 40 + 44).
Mehr als 3,1 Milliarden Menschen weltweit sind von der Landnutzung abhängig, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Im globalen Süden werden natürliche Ressourcen wie Wasser, Wälder, Savannen sowie Acker- und Weideland oft gemeinschaftlich nach Gewohnheitsrecht bewirtschaftet. Zwischen 2000 und 2016 haben jedoch ausländische Unternehmen 42,2 Millionen Hektar Land erworben, 42 Prozent davon in Afrika. Befürworter dieser Prozesse verweisen auf Vorteile für die lokale Beschäftigung und die wirtschaftliche Entwicklung. Die Weltbank behauptet, dass ihre Arbeit zur Förderung der Landwirtschaft die Landrechte schützt und einen gleichberechtigten Zugang zu Land fördert. In der Praxis wurde jedoch Land als Handelsware an den Meistbietenden verkauft. Zivilgesellschaftliche Bewegungen hatten nur mäßige Erfolge bei der Bekämpfung von Landgrabbing (Absatz 18 + 19 + 21).
Allein im Agrarsektor gibt es weltweit schätzungsweise 1,3 Milliarden abhängig Beschäftigte. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kommen davon jedes Jahr mindestens 170.000 Menschen ums Leben. Einige arbeiten in Schuldknechtschaft. 71 Prozent der weltweiten Kinderarbeit findet im landwirtschaftlichen Sektor statt, was einem Anstieg von 10 Millionen seit 2012 entspricht (Absatz 22 + 23 + 25).
Zwischen 2011 und 2017 stieg die Unterernährung in den 50 Ländern, die am stärksten von landwirtschaftliche Erzeugnissen abhängig sind, an. Nicht nur in Afrika, auch in Asien, Lateinamerika und in der Karibik steigt die Zahl unterernährter Menschen. Zwei Drittel aller unterernährten Kinder unter fünf Jahren leben in Asien. (Absatz 30 + 32)
Hilal Elver verweist auf die Aussage des Sonderberichterstatters für extreme Armut und Menschenrechte, wonach wir auf ein Klima-Apartheid-Szenario zusteuern, in dem die Reichen dafür bezahlen, Überhitzung, Hunger und Konflikten zu entkommen, während der Rest der Welt leiden muss (Absatz 52). Sie bemängelt, dass von den 170 Unterzeichnerstaaten des UN-Sozialpakts nur etwa 30 das Recht auf Nahrung in ihren Verfassungen explizit anerkannt haben. Die Staaten müssten sicherstellen, dass die Rechteinhaber im Fall von Verletzungen Rechenschaft einfordern können. Ein menschenrechtsbasierter Ansatz ermahnt die Staaten, sich auf die am stärksten marginalisierten, ausgegrenzten oder diskriminierten Bevölkerungsgruppen zu konzentrieren (Absatz 59 + 60 +65). Hilal Elver fordert die Staaten auf, keine neoliberalen Sparmaßnahmen zu ergreifen, da sie Konflikte entfachen oder zu weiteren Nahrungsmittelkrisen beitragen können (Absatz 13).
Für die wirksame Förderung des Rechts auf Nahrung ist von entscheidender Bedeutung, dass die mit dem Recht auf Nahrung befassten UN-Institutionen in New York, Rom und Genf kohärenter und koordinierter zusammenarbeiten und ihr Vorgehen auf den Erkenntnissen des Menschenrechtsrates, der Sonderberichterstatter, der Vertragsorgane und der Überprüfungen im Menschenrechtsrat (UPR) aufbauen. Um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen, müssen die Staaten das Versprechen „niemanden zurückzulassen” in konkrete Politiken umsetzen, die mit den Menschenrechtsverpflichtungen in Einklang stehen. (Absatz 72 + 75)
Unter aktuellen Fortschritten nennt Hilal Elver den verbesserten rechtlichen Schutz von Kleinproduzent*innen und Kleinbäuer*innen, insbesondere durch die im Jahr 2018 verabschiedete UN-Kleinbauernerklärung (für die sich auch FIAN jahrelang engagiert hatte), sowie die freiwilligen Leitlinien vom Ausschuss für Welternährungssicherheit (CFS). Sie verweist auch auf die Freiwilligen Leitlinien zu Nahrungsmittelsystemen, die sich gerade in der Entwurfsphase befinden (Absatz 15 + 16 + 37). Die Verhandlungen für ein rechtsverbindliches Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten nennt sie als wichtigen Schritt, um den Status quo zu ändern (Absatz 27). Als weitere Lösungsansätze erwähnt sie Agrarökologie, den Schutz von traditionellem Wissen, die Stärkung der Zivilgesellschaft und den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen (Absatz 84 + 85 + 86).
Original:
A/HRC/43/44 Critical perspective on food systems, food crises and the future of the right to food – Report of the Special Rapporteur on the right to food, 21. Januar 2020: https://undocs.org/A/HRC/43/44
Übersetzung: Christine BrücknerLiteraturhinweise:
12 Transnationale Institut, „The global land grab: a primer“ (2012).
14 European Coordination Via Campesina, „Toolkit on land grabbing and access to land in Europe“ (April 2017).
15 Olivier De Schutter, „How not to think of land grabbing: three critiques of large investments in farmland“, Journal of Peasant Studies, Bd. 38, Nr. 2 (2011).
16 Timothy A. Wise, “Seeds of resistance, harvests of hope: farmers halt a land grab in Mozambique”, GRAIN (30 Oct. 2018).
64 Global Network for the Right to Food and Nutrition, „State of the right to food and nutrition report 2019“.