Nach einem erneuten Überfall im August auf eine Guaraní-Kaiowá Gemeinde im brasilianischen Bundesstaat Matto Grosso reisten indigene VertreterInnen nach Europa, um auf ihre äußerst dramatische Situation aufmerksam zu machen und für die Verteidigung ihrer Rechte Unterstützung aus Europa zu erhalten.
Zuspitzung der Gewalt
Am 29. August 2015 überfiel eine Gruppe von 100 teilweise bewaffneten Personen das indigene Dorf Tekoha Ñande Ru Marangatu, um seine BewohnerInnen gewaltsam zu vertreiben. Bei dem Überfall wurde der 24-jährige Kaiowá Semiao Vilhalva ermordet, ein einjähriges Kind erlitt eine Schussverletzung. Mitglieder der Gemeinde berichteten, dass bewaffnete Großgrundbesitzer, aber auch Stadträte, Abgeordnete und sogar ein Senatsmitglied an dem Überfall beteiligt waren. Dieser Angriff stellt eine neue Zuspitzung der Gewalt gegen die indigenen Völker dar und verdeutlicht, dass der brasilianische Staat seiner in internationalen Pakten und Konventionen festgeschriebenen Verantwortung, den indigenen Völkern Schutz zu gewähren, nicht nachkommt.
Eindeutige Rechtsverletzung
Als Reaktion auf den Überfall besetzten 200 Guaraní-Kaiowá gemeinsam mit VertreterInnen der brasilianischen Dachorganisation Articulação dos Povos e Comunidades tradicionias (Koordination der traditionellen Völker und Gemeinden) während einer öffentlichen Anhörung am 5. Oktober symbolisch den Parlamentssaal, um auf die zunehmende Gewalt gegen traditionelle
Gemeinschaften und insbesondere auf den Genozid an den Guaraní-Kaiowá aufmerksam zu machen. Der Präsident der Abgeordnetenkammer weigerte sich nicht nur, die VertreterInnen der Indigenen zu empfangen, sondern ordnete auch polizeiliche Präsenz an. Diese illegale Anordnung sowie die Weigerung, den AnwältInnen der Betroffenen Zutritt zum Parlamentssaal zu gewähren, stellen eine eindeutige Rechtsverletzung dar. Es kam zu einer äußerst kritischen Situation, bei der 200 Menschen über die Nacht ohne Licht und Wasser in dem Gebäude eingeschlossen waren.
Treffen mit SonderberichterstatterInnen
Daraufhin reiste Ende September eine indigene Delegation der Guaraní-Kaiowá nach Europa, um internationale Aufmerksamkeit für ihre Situation zu erlangen. In Belgien, Italien und in der Schweiz berichteten sie über die Zunahme von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Völkern in Brasilien, insbesondere gegen die Kaiowá. Mehrere Organisationen, wie die brasilianische indigene Pastorale CIMI, Amnesty International und FIAN Brasilien, unterstützten die Reise. Im Rahmen der Reise war die Delegation auch bei einem Treffen der europäischen FIAN-Sektionen zu Gast, wo Eliano Lopes die dramatische Situation seines Volkes darlegte. Die europäischen FIAN-Sektionen werden im nächsten Jahr gemeinsame Aktivitäten zu der Lage der Guaraní-Kaiowá koordinieren. Derzeit ist geplant, eine Eilresolution im EU-Parlament zu bewirken. Anschließend traf Eliseu Lopes sich mit sechs UN-SonderberichterstatterInnen (unter anderem mit den SonderberichterstatterInnen für das Recht auf Nahrung, zur Gewalt
gegen Frauen, zur Lage von MenschenrechtsverteidigerInnen und für die Rechte indigener Völker) in Genf, dabei begleitete ihn Ana-Maria Suarez vom dortigen FIAN-Büro.
Eliseu Lopes schilderte auch hier die Gewalt und fortwährenden Morddrohungen, die sein Volk und dessen VertreterInnen tagtäglich erleiden. 52 Prozent aller Morde an Indigenen, die zwischen 2003 und 2014 begangen wurden, wurden an den Guaraní-Kaiowá im Matto Grosso verübt. In den letzten drei Monaten haben Gewalt und Übergriffe gegen indigene Gemeinden drastisch zugenommen, so Eliseu Lopes. Seit über 40 Jahren kämpfen die Guaraní-Kaiowá um ihr Land. Eliseu Lopes fasst die Situation so zusammen:
„Das Leben eines Indigenen in Brasilien ist weniger wert als das einer Kuh. Wir fordern weniger Land, als uns die Verfassung zugesteht, aber der brasilianische Staat unterstützt eindeutig das Agrobusiness. Nur eine Landabsicherung kann die Gewalt einschränken.“
Im Oktober hatten VertreterInnen der Guaraní-Kaiowá mit Unterstützung von FIAN außerdem die Gelegenheit, in der Sitzung der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte in Washington die Situation der indigenen Völker in Brasilien und die fortwährend gegen sie ausgeübten Menschenrechtsverletzungen darzulegen. FIAN begleitet die Guaraní-Kaiowáschon über viele Jahre und wird den Fortlauf der Entwicklung aufmerksam verfolgen.