Es ist ein wichtiger erster Schritt für Tausende von KambodschanerInnen: Anfang Dezember haben EU und Kambodscha beschlossen, einen gemeinsamen Prozess zu Vertreibungsklagen in Zusammenhang mit Zuckerrohrplantagen in Kambodscha aufzunehmen. Das zivilgesellschaftliche Bündnis Clean Sugar Campaign, welchem FIAN Deutschland ebenfalls angehört, fordert seit 2011 die EU dazu auf, die „Alles außer Waffen“-Handelspräferenzen für die Zuckerindustrie in Kambodscha zu untersuchen und auszusetzen, bis angemessene Wiedergutmachungen für die vertriebenen Gemeinden geleistet wurde.
Im Folgenden geben wir die Pressemittelung des Clean Sugar Campaign-Bündnisses anlässlich dieser Entscheidung wieder:
Entscheidender Schritt zur Gerechtigkeit – Entschädigungsprozess für Betroffene von „blutigem Zucker“ in Kambodscha hat begonnen
7. Dezember 2014 – Die Clean Sugar Campaign (Kampagne für sauberen Zucker in Kambodscha) begrüßt die Aufnahme eines gemeinsamen Prozesses zwischen EU und Kambodscha, bei dem die Vertreibungsklagen in Zusammenhang mit Zuckerrohrplantagen in Kambodscha untersucht werden sollen. Diese Entwicklung stellt für Tausende betroffener KambodschanerInnen, die durch die Aktivitäten der Zuckerindustrie enorm gelitten haben, einen entscheidenden Schritt in Richtung Gerechtigkeit dar.
Die Europäische Kommission hat eine Ausschreibung zur Heranziehung von unabhängigen Sachverständigen veröffentlicht, um rechtmäßige Forderungen bezüglich der Auswirkungen und Verluste durch Vertreibungen, die infolge des Anbaus von Zuckerrohr in Kambodscha entstanden sind, zu ermitteln, zu bewerten und wiedergutzumachen. Mit dieser Untersuchung, der ein interministerieller Ausschuss der königlichen Regierung von Kambodscha zugestimmt hat, soll nach eigenen Angaben sichergestellt werden, dass Wiedergutmachung für Defizite bei den Entschädigungen geleistet wird und die Lebensbedingungen und Einkommen der Betroffenen auf dem Niveau wie vor Projektbeginn wiederhergestellt werden.
Diese Ankündigung ist die Antwort auf eine langjährige Forderung von Mitgliedern des Clean Sugar Campaign-Bündnisses, die die Europäische Union aufgefordert haben, Unternehmen unter die Lupe zu nehmen, die vom Präferenzhandelsabkommen „Alles außer Waffen“ (Everything But Arms, EBA) profitieren und dabei in Landraub, Vertreibungen und andere Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Das Bündnis hat die Rücknahme der Handelspräferenzen für die Zuckerindustrie gefordert, bis den betroffenen Gemeinschaften wirksame Entschädigungsleistungen gewährt werden, darunter die Rückgabe von unrechtmäßig erworbenen Land sowie angemessener Schadenersatz für andere Verluste. Eine der zentralen Forderungen der Kampagne besteht darin, dass der Wert der Verluste für die jeweiligen Haushalte und Gemeinschaften ermittelt und eingeschätzt werden solle.
Nach Veröffentlichung der Ausschreibung haben Mitglieder des Clean Sugar Campaign-Bündnisses in einem Schreiben an die Hohe Vertreterin der EU für Außenpolitik, Federica Mogherini, diese seit langem erwartete Entwicklung begrüßt und die EU aufgefordert, klar definierte Fristen und Maßstäbe für Wiedergutmachungsleistungen an die betroffenen Gemeinschaften zu setzen.
Um konkrete, effektive Fortschritte für die betroffenen Menschen zu gewährleisten, fordert die Clean Sugar Campaign die EU auf, den Untersuchungsprozess gemäß Artikel 19 der Verordnung des Allgemeinen Präferenzsystems mit der Aufhebung der Handelspräferenzen für Zuckerrohr zu koppeln, wenn die zeitlich gebundenen Leistungsindikatoren nicht erfüllt sind.
Hintergrund
Kambodschas Zuckerrohrindustrie ist mit vielen Kontroversen behaftet, denn ihr werden illegaler Landraub, Vertreibung und andere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. In einer Evaluierung der Auswirkungen der Zuckerindustrie auf die Menschenrechte in Kambodscha, die im Jahr 2014 von den Nichtregierungsorganisationen Equitable Cambodia und Inclusive Development International veröffentlicht wurde, wurde festgestellt, dass gewaltsame Vertreibungen stattgefunden hatten, um Land zugunsten von Zuckerrohrplantagen in den Provinzen Koh Kong, Kampong Speu und Oddar Meanchey zu räumen. Mindestens zwei Dörfer wurden dabei völlig zerstört und Tausende Hektar von Reisfeldern und Obstgärten, die sich im Besitz von mehr als 2500 Familien befanden, wurden den rechtmäßigen Besitzern weggenommen. Weitere Tausende von Hektar von gemeinschaftlichen Wald- und Naturschutzgebieten wurden zerstört, um Platz für die Zuckerrohrplantagen zu schaffen. Viele Familien mussten erleben, wie ihre Ernte, Viehbestände und persönlichen Besitztümer sowie der Zugang zu gemeinschaftlichen Produktionsressourcen vernichtet wurden.
Obwohl in erheblichem Umfang Wohnraum, Land, Eigentum und Ressourcen für den Lebensunterhalt verloren gingen, wurde in der Regel keine Entschädigung gewährt. In den Fällen, in denen eine Entschädigung erfolgte, wurden die Verluste in zu geringer Anzahl erfasst und unterbewertet. Der Entschädigungsprozess war zudem gekennzeichnet durch mangelnde Beteiligung der Betroffenen sowie durch Bedrohungen und Korruption. Es wurden auch keinerlei Anstrengungen unternommen, um die Vertriebenen wiederanzusiedeln.
Infolge der Vertreibungen haben die betroffenen Menschen schwerwiegende Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte erlitten, darunter der Menschenrechte auf angemessene Wohnung, Nahrung, Arbeit, Bildung und Gesundheit. Über 1000 Männern, Frauen und Kindern wurden ihr Heim und ihr Land geraubt, andere erhielten als Gegenleistung lediglich kleine Flächen mit landwirtschaftlich nicht nutzbarem Land. Die meisten der betroffenen Haushalte haben angegeben, dass sie nun mit größerer Ernährungsunsicherheit, Verschlechterung des Lebensunterhaltes und Verlust von Einkommensmöglichkeiten konfrontiert sind. In einigen Fällen hatte die Vertreibung extreme Hungersituationen und, in mindestens einem Fall, Hungertod zur Folge.
Seit 2011 fordert das Clean Sugar Campaign-Bündnis die EU dazu auf, die „Alles außer Waffen“-Handelspräferenzen für die Zuckerindustrie in Kambodscha zu untersuchen und zu widerrufen, bis diese Wiedergutmachungen für die vertriebenen Gemeinschaften leistet. Die Forderungen der Kampagne erhielten Unterstützung vom Europäischen Parlament, das in den Jahren 2012 und 2013 zwei Resolutionen verabschiedete, in denen die Kommission zum Handeln aufgefordert wurde.
Am 10. Februar 2014 wurde ein wichtiger Schritt getan, als mehrere Minister der kambodschanischen Regierung bei einem Treffen mit Vertretern der Zuckerindustrie und der EU zustimmten, die langwierigen Landkonflikte „zur Zufriedenheit aller beteiligten Parteien zu lösen“. Bei diesem Treffen kam man überein, dass es möglicherweise notwendig sei, bei diesem Prozess die Unterstützung von Dritten einzuholen.
Ende November 2014 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Ausschreibung zur Heranziehung von zwei unabhängigen Sachverständigen, die einen Eröffnungsbericht für die erste Phase des Prozesses vorbereiten sollen. Die Aufgabe dieser Experten ist es laut Ausschreibung, eine Methodik auf der Grundlage der Anwendung von kambodschanischem Recht und einschlägiger internationaler Normen festzulegen, die für die Ermittlung und Beurteilung der Forderungen, für die Entwicklung und Empfehlung eventueller Korrekturmaßnahmen und für die Bewertung angemessener Wiedergutmachungen verwendet wird.
Lesen Sie mehr über dieses Thema in unserem Case Dossier „Landgrabbing in Kambodscha“.