Vom 16. bis 20. Dezember nahmen 75 Staaten und mehr als 50 Vertreter*innen der Zivilgesellschaft – darunter FIAN – an der 10. Verhandlungsrunde für ein verbindliches Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten („UN-Treaty“) in Genf teil. Ziel des Treaty ist es, transnationale Unternehmen über ihre gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu regulieren, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Geschädigte sollen effektive Abhilfe wie den Zugang zur Justiz und vollständige Wiedergutmachung erhalten. Die Zivilgesellschaft war sich in ihrer positiven Bewertung der Verhandlungen einig. Jedoch nahm die EU wieder ohne ein Verhandlungsmandat teil.
Dieses Jahr wurden die Artikel 4 bis 11 des aktuellen Vertragsentwurfs behandelt und damit das „Herz“ des UN-Treaty. Hierin geht es um die Prävention von Menschenrechtsverletzungen, das Recht auf Abhilfe, die Haftung von Unternehmen sowie die zuständige Gerichtsbarkeit. Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschrechte, betonte in seiner Eingangsrede denn auch das enorme Potenzial: der UN-Treaty könnte die Menschenrechte als globalen Standard für Unternehmen etablieren sowie Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit und Stabilität befördern.
FIAN war mit Delegierten aus Ecuador, Indonesien, der Schweiz, Deutschland sowie von FIAN International vertreten. Zudem wurde Armand Dione, Vertreter einer Bauerngemeinschaft aus dem Senegal, von FIAN eingeladen. Armand kämpft mit der Association de défense des intérêts des riverains des phosphates de Thiès gegen Menschenrechtsverletzungen durch ein senegalesisch-spanisches Bergbauunternehmen, ein von FIAN unterstützter Fall.
Forderungen lokaler Gemeinden im globalen Süden
FIAN ist Mitglied der globalen Treaty Alliance (TA), einem Netzwerk von 550 Organisationen, das sich seit Beginn an für den Treaty-Prozess einsetzt. Die TA forderte nun in Genf, dass der Vertragsentwurf Lücken in der Rechenschaftspflicht von Unternehmen schließt. So betonte FIAN die extraterritorialen Pflichten von Staaten. Dazu gehört, dass die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Heimatland des Unternehmens oder in einem Land vor Gericht ziehen können, in dem ein Unternehmen wesentliche Vermögenswerte besitzt. Denn häufig nutzen Unternehmen die Strategie, ihre Gerichtsbarkeit zu wechseln, um sich jeglicher Haftung zu entziehen – so wie in einem FIAN-Fall, bei dem ein südafrikanisches Bergbauunternehmen seinen Hauptsitz von Südafrika nach London verlagerte.
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Auch setzt sich FIAN dafür ein, dass das Menschenrecht auf eine saubere Umwelt wieder Eingang in den Vertragstext findet und, dass Unternehmen bei Umweltschäden haftbar gemacht werden können. Während sich die USA gegen das Recht auf eine saubere Umwelt im Vertragstext aussprachen, vertraten Delegierte aus anderen Ländern die Position von FIAN, darunter die EU. Die deutsche Treaty Allianz forderte die EU dazu auf, sich in einem zukünftigen Verhandlungsmandat auf Grundlage des EU-Lieferkettengesetzes (EU CSDDD) für die Stärkung von umwelt- und klimabezogenen Pflichten stark zu machen.
Des Weiteren brachte sich FIAN für die Stärkung von Geschlechtergerechtigkeit im Vertragstext ein: Beispielsweise in der Gemeinde von Armand Dione sind Frauen besonders stark von Landraub und Umweltzerstörung betroffen. Die Förderung von Umweltrechten fördert somit auch die Geschlechtergerechtigkeit.
Die TA machte sich außerdem dafür stark, dass die Vereinnahmung des Verfahrens durch den Privatsektor verhindert werden muss. Léticia Paranhos von Friends of the Earth International:
„Es steht den Menschenrechtsverletzern nicht zu, mitzubestimmen, wie sie reguliert oder für ihre Verstöße zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Wenn transnationale Unternehmen in irgendeiner Weise in diesen Verhandlungen vertreten wären, bedeutet das, dass der Fuchs das Sicherheitssystem des Hühnerstalls planen darf“.
Positive Entwicklung
Die 10. Verhandlungsrunde brachte viele positive Dynamiken mit sich. Nach Ansicht der Treaty Allianz haben die Staaten dieses Jahr zum ersten Mal „wirklich verhandelt“. Dazu beigetragen hat vor allem das Vorgehen des ecuadorianischen Vorsitzenden, Vásquez Bermúdez. Einige Staaten schlugen vor, stärkere Bestimmungen aus dem vorherigen Entwurf wieder in den Vertragstext aufzunehmen, etwa erhöhte Sorgfaltspflichten in Konfliktgebieten, Vorschläge zu extraterritorialer Gerichtsbarkeit und den Schutz von Menschenrechts- und Umweltverteidiger*innen.
Positiv war außerdem, dass sich die Mehrheit der Staaten für die Erweiterung des Begriffs „Opfer“ von Menschenrechtsverletzungen auf „betroffene Personen und Gemeinschaften“ aussprach. Dies stärkt die Rechte der Menschen, bevor diese verletzt werden. Eine gute Entwicklung war ebenfalls, dass sich von den kritisch eingestellten Staaten nur die USA, Großbritannien, Russland und Saudi-Arabien aktiv beteiligten und dass einige progressive Staaten aktiver als in den letzten Jahren teilnahmen.
Ziel der Zivilgesellschaft ist es, dass Unternehmen, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, gesamtschuldnerisch verantwortlich gemacht werden können – unabhängig davon, ob es sich um eine Tochter, eine Muttergesellschaft oder ein anderes Unternehmen in der Wertschöpfungskette handelt. Ein Beispiel hierfür ist der Fall Brumadinho, für den der TÜV Süd mitverantwortlich ist, oder der Fall Chevron/Texaco, in dem eine (kanadische) Tochtergesellschaft als unabhängig und daher als nicht haftbar erklärt wurde. Diese gesamtschuldnerische Haftung fehlt bislang im Entwurf. Auch muss im Vertragstext der Vorrang der Menschenrechte gegenüber internationalen Investitions- und Handelsabkommen beibehalten werden. Der Fall Chevron/Texaco hat gezeigt, dass Investor-Staats-Verfahren nationale Gesetze zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt außer Kraft setzen können.
Für die nächste Verhandlungsrunde plant die Treaty Alliance, die Digitalkonzerne verstärkt in den Blick zu nehmen. Dass dies notwendig ist, zeigt etwa der Fall von Safaricom in Kenia: Durch die Weitergabe von Standortdaten an Regierungsbeamte kam es zur Entführung von mehr als 80 Regierungskritiker*innen.
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EU wieder ohne Verhandlungsmandat
Trotz Inkrafttretens des EU-Lieferkettengesetzes konnte die EU ohne ein Verhandlungsmandat wieder nicht aktiv mitverhandeln. Immerhin hat sie die für ein Mandat notwendige rechtliche Analyse zur Vereinbarkeit des aktuellen Treaty-Entwurfs mit EU-Recht durchgeführt. Die Entscheidung über ein mögliches EU-Mandat liegt jetzt bei der neuen EU-Kommission und den Mitgliedstaaten. Seit Inkrafttreten der EU CSDDD haben sich einzelne Mitgliedstaaten wie Schweden oder Belgien für den UN-Treaty ausgesprochen, während sich die deutsche Regierung vor den Verhandlungen auf keine einheitliche Position einigen konnte.
Side Events
FIAN organisierte zusammen mit der Global Campaign und dem ESCR-Net die Begleitveranstaltung „Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung im Kontext von Unternehmensaktivitäten – Stimmen von Betroffenen zu den Artikeln 4 bis 9“. Dabei kam unter anderem Armand aus Senegal zu Wort. Er machte auf den fehlenden Zugang zu Informationen seitens des Unternehmens, dürftige Entschädigungen sowie selbst erlebte Bedrohungen aufmerksam. Diese Probleme müssten durch den Treaty adressiert werden.
In einem weiteren Side Event wurde deutlich, dass der UN-Treaty eine große Bedeutung für die Umsetzung der Rechte von Bäuer*innen und in der Landwirtschaft tätigen Arbeiter*innen hat. Dazu Pierre Maison von La Via Campesina:
„Solange die transnationalen Konzerne, die das gegenwärtige agroindustrielle Modell vorantreiben, ohne Regulierung und ungestraft für ihre Menschenrechtsverletzungen agieren, werden die Rechte der Bauern nicht verwirklicht werden“.
Im Treaty müsste daher auch die Kleinbauernerklärung UNDROP erwähnt werden.
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Ein weiteres Side Event kam zu dem Schluss, dass der UN-Treaty als Inspiration dienen solle, um starke nationale Regelungen für Unternehmen voranzutreiben und umgekehrt. Gesetzesentwürfe aus Brasilien, Kolumbien und Argentinien wurden als positive Beispiele vorgestellt. Die PL 275/2022 von Brasilien, die von der Zivilgesellschaft und dem Fall Brumadinho stark geprägt wurde, sieht zum Beispiel eine Beweislastumkehr vor Gericht und einen Wiedergutmachungsfond vor.
In einem Side Event zum Thema Corporate Capture betonten die Sprecher*innen die Verantwortung von Waffenherstellern im Gazakrieg gegen Israel sowie von Banken, die diese finanzieren. Sie laufen Gefahr, sich an schweren Verletzungen der internationalen MR und des humanitären VRs eine Mitschuld zu tragen. Mindestens zehn Mitglieder der USCIB haben Waffen für Israel hergestellt, die im Gazakrieg eingesetzt wurden, während die Bank of America, Citigroup, J.P. Morgan Chase, Bank of New York Mellon und Wells Fargo diese finanziert haben.
Armand aus Senegal äußerte auf einer Paneldiskussion an der Uni Genf:
„Land ist etwas Heiliges. Überall – wer auch immer darauf lebt“. Er fügte hinzu: „Wir wollen weder Geld noch Almosen, wir wollen Gerechtigkeit.“
Durch die starke Solidarität seiner Zuhörer bewegt, äußerte er, „dass es immer noch Hoffnung auf eine gerechte Welt gibt.“
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Die Verhandlungsrunde hat uns in der Tat die Hoffnung gegeben, die Volker Türk in seiner Eingangsrede erwähnte. Unsere diesjährigen Erfolge und der gemeinsame Kampf für das Ziel eines ambitionierten verbindlichen Vertrags für Wirtschaft und Menschenrechte hat die Treaty Alliance weiter zusammengeschweißt. Diese Kraft werden wir in den im April beginnenden zwischenstaatlichen Konsultationen und in der nächsten Verhandlungsrunde vom 20. bis 24. Oktober einsetzen.
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