Vertreibungen für Tourismus und Jagdsafaris

Die Maasai in Tansania sind durch Vertreibungen im Namen von Tourismus und „Naturschutz“ existenziell bedroht. Es ist wichtig, diese Motive zu hinterfragen und sicherzustellen, dass „Naturschutz“ und die Rechte der Maasai in Einklang gebracht werden. Deutschland steht als wichtiger Geldgeber für Nationalparkprojekte in Tansania in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die eigenen Mittel nicht zur Verschärfung der Krise beitragen. Es ist an der Zeit, die Stimme für die Maasai zu erheben und ihre Rechte zu verteidigen.

Die Maasai sind ein ostafrikanisches Hirtenvolk, auch Pastoralisten genannt. Als Pastoralismus wird eine mobile Form der Tierhaltung bezeichnet, bei der ein kontinuierlicher Wechsel der Weideflächen entlang der Vegetationszyklen und Niederschlagsvorkommen stattfindet. In Tansania leben die Maasai seit vielen Generationen vorwiegend im Nordosten des Landes, in der Region Arusha, in der sich auch die Bezirke Ngorongoro und Loliondo befinden (siehe Karte).

Zehntausende Maasai verlieren ihr Land

Im Juni 2022 erklärte die tansanische Regierung, dass ein Drittel des Bezirks Loliondo, welcher an den Serengeti Nationalpark grenzt, ab sofort ausschließlich für den Naturschutz als Pololeti Tierschutzgebiet (gestreifte Fläche auf der Karte) vorgesehen sei. Dies entspricht etwa der dreifachen Fläche des Bodensees. 70.000 Bewohner*innen, hauptsächlich Maasai, sind betroffen und müssen ihr Land verlassen oder verlieren überlebenswichtige Weideflächen.

Die neuen Naturschutzgebiete entstehen direkt auf Maasai-Land

Die Maasai solle das Ngorongoro-Schutzgebiet sowie Teile des Lolondo-Distrikts räumen

Gewaltvolle Räumungen

Am 7. Juni rückten circa 700 Sicherheitskräfte an. Als sich die Menschen weigerten zu gehen, eröffneten sie das Feuer auf eine Gruppe Protestierender. Es gab mehrere Verletzte und zwei Tote. Die Gemeindesprecher wurden inhaftiert. Heute ist das Gebiet vollständig geräumt. Die ehemaligen Bewohner*innen leben in angrenzenden Gebieten, ohne Zugang zu ihrem bisherigen Weideland – für die Maasai ist dieser Zugang jedoch existentiell und sichert ihr Menschenrecht auf Nahrung. Wenn sich Tiere auf das alte Land verirren, werden sie konfisziert und versteigert. Manchen Familien bleiben von mehreren hundert Tieren heute nur noch ein paar Dutzend. Viele leiden Hunger, besonders Kinder.

Sicherheitskräfte zünden bei Räumungsaktionen Häuser der Maasai an

Flucht als einziger Ausweg

Ähnlich geht es den Maasai im angrenzenden Ngorongoro-Schutzgebiet. Bis 2027 sollen nach Plänen der Regierung 82.000 Personen umgesiedelt werden. Hier geht die Regierung weniger mit direkter Gewalt vor – wohl auch wegen der Anwesenheit von Tourist*innen. Während offiziell von „freiwilligen Umsiedlungen“ die Rede ist, stellt die Regierung jegliche Sozialleistungen ein. Durch zusätzliche Transportgebühren sorgt sie zudem für einen mangelnden Zugang zu Grundnahrungsmitteln. Schulen und Krankenstationen mussten schließen. Der Zugang zu Wasser und Weideland wurde stark eingeschränkt. Der Anbau von Grundnahrungsmitteln wurde verboten. Die Ernährungslage verschlechtert sich dramatisch. Viele Menschen mussten bereits fliehen, um zu überleben. Derweil lobt die deutsche Bundesregierung die Kooperation mit Tansania im Bereich Naturschutz. Sie investiert dort 83 Millionen Euro.

Bernhard Grzimek und kolonialer Naturschutz

Als der in Deutschland berühmte Zoologe Bernhard Grzimek in den 1950er Jahren nach Tansania reiste, um Wildtiere einzufangen und sie im Frankfurter Zoo auszustellen, warnte er zugleich vor dem Einfluss menschlicher Siedlungen auf die Natur. Die britischen Kolonialherren beschlossen, jegliche Siedlungen im Serengeti Nationalpark zu verbieten und die dortigen Maasai zwangsumzusiedeln. Mit dem Versprechen, das neu zugewiesene Gebiet nie wieder verlassen zu müssen, wurden die Maasai umgesiedelt – in ebenjenes Gebiet, aus dem sie heute doch wieder vertrieben werden.

Die Maasai-Delegation fordert im Frankfurter ZOO: „Keine Finanzierung von kolonialem Naturschutz!“

Maasai bedrohen nicht die Natur, sie bewahren sie

Die Maasai klagen die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die jüngsten Vertreibungen an. Noorkshili Naing‘isa (im Bild rechts) fordert: „Wir wollen, dass die tansanische Regierung aufhört, die Maasai durch grausame Aktionen zu entwürdigen, als ob wir keine Menschen wären“. Besonders schutzbedürftige Gruppen, wie Frauen und Kinder leiden unter der gegenwärtigen Situation, da ihnen grundlegende Dienstleistungen verwehrt werden. Die tansanische Regierung rechtfertigt ihr Vorgehen mit Berichten der UNESCO und anderer Organisationen, wonach der Bevölkerungsdruck der Massai die Umwelt und die Biodiversität bedrohe. Menschliche Siedlungen seien nicht mit Naturschutz vereinbar – das Echo eines kolonialen Narrativs. Dabei sind es gerade die Maasai, die ihre Lebensweise so an ihre Umwelt angepasst haben, dass sie im Einklang mit ihr leben. Die Maasai sind ein wichtiger Teil ihres Ökosystems. Die Orte, an denen sie leben, weisen oft sogar eine höhere Artenvielfalt auf. Daher kommt Joseph Oleshangay (im Bild zweiter von rechts) zu dem Schluss: „Wenn es wirklich um Naturschutz ginge, wären die Maasai die letzten, die man bekämpfen müsste.“

Deutsche Akteure mitverantwortlich

Die deutsche Bundesregierung bringt erhebliche finanzielle Mittel für Naturschutzprojekte in Tansania auf und betont die gute Zusammenarbeit mit dem ostafrikanischen Land. Das Entwicklungsministerium finanziert mehrere Projekte in der Region um die Serengeti, einschließlich Ngorongoro und Loliondo. Diese werden von der deutschen Entwicklungsbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) und der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft umgesetzt. Beide Akteure arbeiten eng mit der tansanischen Parkbehörde TANAPA zusammen, die ihrerseits in Vertreibungen und Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Massai verwickelt sein soll. Die Unterstützung der Bundesregierung legitimiert die Menschenrechtsverletzungen.

Maasai bei Lobby-Reise mit deutscher Bundesregierung

FIAN macht Druck auf die Politik

Als Menschenrechtsorganisation engagieren wir uns in der von uns mitgegründeten International Maasai Solidarity Alliance (MISA). Hier kommen glaubensbasierte Organisationen, Menschenrechtsorganisationen, internationale Hilfs- und Entwicklungsorganisationen sowie Wissenschaftler*innen mit Basisorganisationen der Maasai und deren Anwälten von vor Ort zusammen. Zu unserem Bündnis gehören unter anderem das Africa Europe Faith Justice Network (AEFJN), die Coalition of European Lobbies for Eastern African Pastoralism (CELEP), die Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz (KOO), Misereor und Welthaus Graz. Unser Hauptziel ist die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen an den Maasai im Norden Tansanias und die damit eng verbundene Achtung ihrer Landrechte. Im Juni 2023 organisierten wir gemeinsam eine Lobby-Tour durch Deutschland, Österreich, Belgien und Italien. Dies ermöglichte es einer Delegation der Maasai, ihre Situation und Anliegen europäischen Entscheidungsträgern vorzutragen und internationale Solidarität zu stärken. FIAN unterstützte insbesondere die Treffen mit der deutschen Regierung, Politiker*innen, der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft und einen Runden Tisch im Europaparlament, um auf die Rolle Deutschlands und der EU in dieser Krise aufmerksam zu machen.

Zudem veröffentlicht MISA einmal im Monat einen Newsletter mit umfassenden Informationen aus der Praxis. Darin wird aus erster Hand über die aktuelle Situation in Ngorongoro, Loliondo und benachbarten Gebieten berichtet. Zudem werden dort die neuesten Aktivitäten der Gemeinden und gemeinsam erzielte Fortschritte dokumentiert.

Weiterhin haben die Betroffenen FIAN um Unterstützung gebeten. FIAN hat eine Brief- und Unterschriftenaktion gestartet. Jede Unterschrift und jeder Brief hilft!

INFO-Brief zur Situation der Maasai

… damit die Stimmen der Maasai gehört werden

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