Die UN-Erklärung der Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (UNDROP), gilt auch für Arbeitsmigrant*innen und Erntehelfer*innen.
Darauf weist FIAN anlässlich zweier gravierender Fälle von Arbeitsrechtsverletzungen hin. Diese verdeutlichen die Relevanz der Erklärung für Europa. In Andalusien hat der Gemüse-Produzent Haciendas Bio Arbeiter*innen fristlos entlassen, die zuvor gravierende Verstöße gegen Arbeitsrecht beklagt und Schutzkleidung gegen den Corona-Virus gefordert hatten. In Bornheim hat der insolvente Erdbeerproduzent Ritter rumänischen Erntehelfer*innen den Lohn vorenthalten und diese zu schlechteren Bedingungen beschäftigt als deutsche Erntehelfer*innen.
Spanien: Haciendas Bio
Mehr als 20 Arbeiter*innen des andalusischen, biozertifizierten Gemüseproduzenten Haciendas Bio beschwerten sich Anfang Februar 2020 bei der spanischen Gewerkschaft Soc Sat über Arbeitsrechtsverletzungen. Viele von Ihnen sind Arbeitsmigrant*innen. Darüber informiert der Verein InterBrigadas. Sie beklagten unter anderem Bezahlung unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns, unbezahlte Überstunden, fehlende Schutzausrüstung für das Ausbringen von Pestiziden, die Verweigerung gesetzlich vorgesehener Pausen, unzureichende Sanitäranlagen sowie Beleidigungen durch die Geschäftsführung. Die Gewerkschaft informierte das Unternehmen und kündigte die Wahl eines Betriebsrats an. Da Haciendas Bio nicht darauf reagierte, rief Soc Sat am 9. März zu einem Streik auf. Bei einem Schlichtungsgespräch am 19. März mit der zuständigen staatlichen Institution Sercla verlängerte Soc Sat den Streikaufruf bis zum 17. April.
In der Zwischenzeit brach die Corona-Pandemie aus. Sieben Arbeiter*innen forderten vom Unternehmen Schutzausrüstung in Form von Masken und Handschuhen. Am 24. März wollte die Gewerkschaft dann die angekündigten Wahlen durchführen. Doch der Geschäftsführer verweigerte den Arbeiter*innen den Zutritt zum Betrieb. Außerdem wurden die Arbeiter*innen, die sich beschwert hatten, fristlos entlassen. Bis heute wurden sie nicht wiedereingestellt. Dieses unrechtmäßige Vorgehen ist besonders erschreckend (und für Deutschland relevant), da der Betrieb von den deutschen Unternehmen Naturland und Demeter zertifiziert ist.
FIAN International wurde von InterBrigadas um Unterstützung gebeten, da die entlassenen Arbeiter*innen ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können. FIAN hat daher das spanische Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherung per Brief aufgefordert, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Arbeiter*innen zu garantieren sowie für die Durchsetzung der nationalen Arbeitsgesetzgebung zu sorgen. Diese Aufforderungen basieren auf den internationalen Menschenrechtspakten sowie auf der UNDROP. In deren Artikel 9 wird das Recht dieser Bevölkerungsgruppe auf Gewerkschaftsfreiheit betont, in Artikel 14 das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen. Artikel 22 betont das Recht auf soziale Sicherheit einschließlich Einkommenssicherheit – auch für Wanderarbeiter*innen.
Deutschland: Erdbeer- und Spargelhof Ritter
Am 15. Mai 2020 begannen rumänischen Erntehelfer*innen des Erdbeer- und Spargelhofs Ritter in Bornheim bei Bonn einen Streik. Grund hierfür war, dass sie ihre Löhne nicht erhalten hatten. Darüber hinaus beschwerten sie sich über verrottetes Essen, mangelhafte Corona-Schutzmaßnahmen, beengte Unterkünfte – in Corona-Zeiten besonders gefährlich – und fehlendes Warmwasser. Der Betrieb war insolvent, ein Insolvenzverwalter war eingesetzt worden. Die Gewerkschaftsföderation Freie Arbeiter*innen Union (FAU) unterstützt die Erntehelfer*innen und hat den Fall dokumentiert. Den Arbeiter*innen drohte eine Zwangsräumung innerhalb weniger Tage aus ihren vom Betrieb an sie vermieteten Container-Unterkünften, obwohl sie gültige Mietverträge besaßen. Wegen der nicht gezahlten Löhne hatten sie nicht einmal genug Geld für Rückflüge nach Rumänien.
Von einer deutschen Erntehelferin hat FIAN erfahren, dass das Unternehmen die rumänischen Arbeiter*innen anders als ihre deutschen Kolleg*innen behandelt hat. So sei mit den Deutschen ein fester Stundenlohn von 10,-€ netto und eine tägliche Arbeitszeit von 6 Stunden vereinbart gewesen, während die Rumän*innen zu Akkordlöhnen von ca. 3,40 € je geernteter Kiste Erdbeeren gearbeitet hätten. In eine Kiste passten etwa 6 kg der Früchte, 2-3 Kisten schaffe man pro Stunde. Die Arbeit sei anstrengend. Der Lohn für Mai sollte Anfang Juni ausgezahlt werden. Da die deutschen Erntehelfer*innen dem Insolvenzverwalter nicht trauten, beantragten sie eine Vorschusszahlung in Höhe von 200,- € pro Person. Insgesamt sei das Vorgehen des Insolvenzverwalters nicht sehr transparent gewesen und die Informationen oft widersprüchlich. Die hygienischen Verhältnisse und die Verpflegung seien schlecht gewesen und hätten in keinem Verhältnis zu den Beträgen gestanden, die die rumänischen Arbeiter*innen dafür neben ihrer Anreise zahlen mussten.
Am 25. Mai haben laut Informationen von FAU einige der rumänischen Arbeitsmigrant*innen in anderen Betrieben Anstellungen gefunden. Andere sind nach Rumänien zurückgekehrt. Die FAU unterstützt sie bei der gerichtlichen Einforderung ihrer Lohnzahlungen. Derweil verrotten die Erdbeeren auf den Feldern.
Deutschland hat die internationale Konvention für die Rechte von Wanderarbeiter*innen zwar bisher nicht ratifiziert, ist aber an das grundlegende menschenrechtliche Diskriminierungsverbot gebunden. Dieses wird auch in Artikel 3 der UNDROP wiederholt. Artikel 14 (1) der Erklärung gibt ausdrücklich Saisonarbeiter*innen das Recht „unter sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen zu arbeiten“. Artikel 15 (1) betont das im UN-Sozialpakt verfasste Recht auf angemessene Nahrung. Artikel 24 (1) konstatiert das ebenfalls im UN-Sozialpakt verfasste Recht auf angemessenes Wohnen. Diese Rechte der rumänischen Saisonarbeiter*innen wurden massiv verletzt. FIAN fordert daher von der Bundesregierung die vorbehaltlose und zügige Umsetzung der UNDROP.